„Wir werden Hesandin nicht kampflos aufgeben“

Am Hesandin-Massiv weitet sich der Protest gegen eine geplante Militärstraße aus. Ortsansässige und Umweltverbände hegen den Verdacht, dass hinter dem Projekt auch wirtschaftliche Interessen stehen und die Armee mit Bergbauunternehmen kooperiert.

Umwelt und Lebensgrundlagen in Gefahr

Am Hesandin-Massiv in der nordkurdischen Provinz Amed (tr. Diyarbakır) regt sich seit Wochen Protest. In der Nähe der Ortschaft Şirnaz (Argün) im Landkreis Pasûr (Kulp) laufen intensive Bauarbeiten an einer neuen Straße. Laut offiziellen Angaben soll sie den Zugang zu einem geplanten Militärposten ermöglichen. Doch Bewohner:innen der umliegenden Dörfer hegen den Verdacht, dass hinter dem Projekt auch wirtschaftliche Interessen stehen – insbesondere die Erschließung von Bodenschätzen durch Bergbauunternehmen.

Bereits im vergangenen Jahr war das Unternehmen „Kulp Madencilik“ mit geplanten Probebohrungen in der Region gescheitert. Damals hatten die Bevölkerung der lokalen Dörfer und Jurist:innen erfolgreich gegen das Vorhaben mobilisiert. Eine Prüfung durch das Umweltministerium ergab, dass die Firma zwar im Jahr 2008 einen Umweltverträglichkeitsbericht (ÇED) erhalten hatte, dieser jedoch seine Gültigkeit verlor, da innerhalb von fünf Jahren keine Aktivitäten aufgenommen wurden.


Verdacht: Langfristiger Bergbau

Trotzdem wurde im April dieses Jahres mit dem Bau einer Zufahrtsstraße auf den Hesandin-Berg begonnen. Die Erklärungen zur geplanten Nutzung der Straße bleiben vage. Während von offizieller Seite von einem „Sicherheitsprojekt“ im Rahmen eines neuen Militärpostens gesprochen wird, deuten die Ausmaße und die Lage der Straße nach Einschätzung von Anwohner:innen auf mehr hin: „Die Straße führt genau durch die Gebiete, in denen die Firma in der Vergangenheit Probebohrungen plante“, so ein Dorfbewohner. „Es ist offensichtlich, dass hier langfristig Bergbau betrieben werden soll.“

„Wasser und Lebensgrundlagen in Gefahr“

Der Widerstand in der Region wächst. Bewohner:innen kritisieren insbesondere die ökologischen Folgen der Erschließungsarbeiten. Durch den Bau der Straße wurden nach Angaben von Beobachter:innen bereits zahlreiche Bäume gefällt, Weideflächen zerstört und Wasserquellen gefährdet.

„Wir leben seit Jahrhunderten in diesem Tal“, sagt Remzi Turan aus Şirnaz. „Wir ernähren uns von Viehzucht, Imkerei und Landwirtschaft. Wenn der Hesandin durch den Bergbau erschlossen wird, verlieren wir alles – unser Wasser, unsere Felder, unsere Lebensgrundlagen.“

Auch Nedim Emre, ebenfalls aus dem Dorf, äußert sich alarmiert: „Dieser Landkreis war früher ein grüner Ort. Aber jetzt sind große Teile von einem Staudamm unter Wasser gesetzt, und der Rest wird durch diese Projekte zerstört. Die Behörden versuchen, uns unsere Heimat Stück für Stück zu nehmen.“

„Rechtswidrige Genehmigung, falsche Angaben“

Scharfe Kritik kommt auch von rechtlicher Seite. Rechtsanwalt Eyüp Aydeniz von der Anwaltskammer Diyarbakır bezeichnet die derzeitigen Arbeiten als rechtswidrig und erhebt schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen und die zuständigen Behörden. „Es wurde eine Genehmigung auf Basis einer Umweltverträglichkeitsprüfung ausgestellt, obwohl dort nachweislich nie Bergbau betrieben wurde“, so Aydeniz. „Das Unternehmen behauptet, zwischen 2011 und 2013 hier 100.000 Tonnen Gestein abgebaut zu haben. Das ist unwahr. Es existieren keine Nachweise, keine Infrastruktur – nichts. Diese Angabe ist schlichtweg eine Lüge.“

Aydeniz betont, dass durch das Vorgehen mehrere Straftatbestände erfüllt seien – darunter Urkundenfälschung und Verstöße gegen das Umweltrecht. Zudem verletze der Straßenbau geltende Vorschriften zum Schutz von Waldgebieten. „Was hier geschieht, ist nicht nur ein Umweltverbrechen, sondern auch ein Angriff auf die Existenz der Bevölkerung.“

Militär begleitet Bauarbeiten

Die Bauarbeiten werden von Einheiten der türkischen Militärpolizei, der sogenannten Gendarmerie begleitet. Nach Angaben von Anwohner:innen sind fast täglich mehrere Dutzend Soldaten im Einsatz, um die Arbeiter und Maschinen zu schützen. Gespräche mit den Verantwortlichen seien laut Dorfbewohner:innen nicht möglich – konkrete Informationen über das Projekt oder die Auftraggeber habe man bislang nicht erhalten.

Appell an Behörden und Zivilgesellschaft

In einer gemeinsamen Erklärung fordern Anwohner:innen, lokale Umweltinitiativen und Jurist:innen ein sofortiges Ende der Bauarbeiten sowie eine transparente Offenlegung aller Pläne rund um das Projekt. Die betroffenen Gemeinden rufen die Zivilgesellschaft zur Solidarität auf und fordern von der Provinzverwaltung Diyarbakır, dem Umwelt- und dem Energieministerium ein Einschreiten gegen das aus ihrer Sicht illegale Vorhaben.

„Es geht hier nicht nur um einen Berg“, sagt Cevahir Tekin aus Şirnaz. „Es geht um unsere Zukunft. Wenn wir jetzt nicht handeln, verlieren wir unsere Heimat für immer.“ Tekin ruft zu einer gemeinsamen Protestaktion auf: „Wir werden den Hesandin nicht kampflos aufgeben.“