Das vormals glasklare Wasser in der Nerdüş-Schlucht in der nordkurdischen Provinz Şirnex (tr. Şırnak) ist schwarz und enthält Kohleklumpen, die Wälder im dortigen Kreis Elkê (Beytüşşebap) werden von Paramilitärs abgeholzt. Insbesondere in den „vorübergehenden militärischen Sperrzonen“ läuft die Vernichtung der einmaligen Natur von Şirnex auf Hochtouren. Während die dort lebende oder arbeitende Bevölkerung die Gebiete nicht betreten darf, wird illegaler Bergbau und Ölexploration betrieben.
Im ANF-Interview beantwortete der für die Provinz Şirnex gewählte Abgeordnete der DEM-Partei, Zeki Irmez, Fragen zu diesen Entwicklungen.
Die Bilder vom schwarzen Wasser in der Nerdüş-Schlucht und den Kohleklumpen, die aus den Wasserhähnen kommen, sind viral in den sozialen Medien. Was ist los in Nerdüş?
Der Bach Nerdüş war tatsächlich sauber genug, um daraus zu trinken. Die Menschen konnten das Wasser aus dem Wasserhahn trinken, ihren Tieren geben, ihre Weinberge und Gärten damit bewässern. Das alles ist heute nicht mehr möglich. Der Nerdüş fließt durch viele Dörfer, bis er den Tigris erreicht. Für alle war er die Quelle des Lebens. Um noch einmal darauf zurückzukommen, wie es dazu kam: Es gibt ein Gebiet, das wir 6. Ocak nennen. Dieses Gebiet gehört der Bölünmez Holding. Die Abwässer nicht nur eines Steinbruchs, sondern vieler Steinbrüche werden über ein Pumpensystem in den Nerdüş gepumpt. Der Wasserspeicher, in den der Fluss fließt, gehört der Stadt Şirnex. Die Stadtverwaltung müsste dort eine Kläranlage errichten oder ein Filtersystem für Kohleminen einrichten. Es sollten Inspektionen durchgeführt werden. Die Zwangsverwalter haben das natürlich nicht getan. Da das Wasser aus den Kohlebergwerken kommt, ist es mit Chemikalien belastet und hat eine schwarze Farbe. Es kann für nichts verwendet werden. Kein Lebewesen kann in diesem Wasser leben. Trotzdem wird dieses schmutzige Wasser nach Şirnex geleitet. Das Viertel Bahçelievler wird von diesem Wasser gespeist. Mit der Maden-Siedlung verhält es sich genauso. Wir haben Aufnahmen gesehen, die Bewohner gemacht haben. Das Wasser aus dem Wasserhahn ist schwarz, schlammig und enthält Kohlepartikel. Auf eine parlamentarische Anfrage haben wir eine Antwort des Ministeriums erhalten, in der es hieß, dass Bußgelder verhängt worden seien. So viele Bußgelder für dieses Unternehmen, so viele Bußgelder für jenes Unternehmen ... Die verhängten Bußgelder waren so hoch wie die Einnahmen aus diesen Kohlebergwerken in ein paar Stunden. Es gibt keine Abschreckung, und das gleiche passiert immer wieder.
„Hier herrscht Kolonialrecht“
Şirnex war in den letzten Jahren mit einer vielschichtigen ökologischen Zerstörung konfrontiert. Welchen Anteil hat die Kohleförderung an dieser Entwicklung?
Die Kohlebergwerke unterstanden bis 2001 dem Türkischen Kohleunternehmen (TKI). Dann wurde das TKI geschlossen. Danach wurden die Kohlebergwerke durch Lizenzgebühren (Verträge, die die Übertragung eines Teils oder der Gesamtheit der Betriebsrechte von Bergbaulizenzgebieten an Dritte regeln) vollständig an die Provinzsonderverwaltung übertragen, die sie dann im Rahmen von Ausschreibungen an Unternehmen vergab. Es gab auch Unternehmen, die von außerhalb kamen, um die Kohle zu fördern, aber meistens erhielten lokale Unternehmen in Şirnex die Betriebslizenzen. Bei diesem System erhält die Sonderverwaltung einen bestimmten Prozentsatz. Die Cûdî-Region wird auf diese Weise ausgeplündert. Überall gibt es Löcher. Nach 2016 wurden die Betriebslizenzen fast aller Kohleminen in Şirnex an Süleyman Bölünmez, Bölünmez Holding, vergeben. Einige Gruben werden auch von Subunternehmern betrieben. Die Gruben arbeiten mit einem offenen System. Es gibt keine Schienen. Sie öffnen sie und sprengen sie mit Dynamit. Die Gruben sind sehr tief. Die Arbeiter arbeiten in einem Umfeld, in dem es keine Arbeitssicherheit gibt, und es hat bereits Todesfälle gegeben. Die Art und Weise, wie sie arbeiten, verstößt gegen das Bergbaugesetz und gegen das Gesetz als Ganzes. Wenn wir uns all dies ansehen, spielen die Kohlebergwerke natürlich eine sehr große Rolle bei der ökologischen Zerstörung. Von den Ministerien wird kein einziger Schritt dagegen unternommen. Das Gesetz, das hier angewendet wird, ist Kolonialrecht. Das muss bekanntgemacht werden.
Auch die Rodungen und die Zerstörung von Waldflächen ist in den letzten Tagen stärker Thema geworden. Wie ist die Situation in diesem Zusammenhang?
Einige Orte werden als Weiler des Dorfes eingeordnet, andere als vererbtes Land, das Privatpersonen gehöre. Einige der Orte werden auch als Eigentum des Staates definiert, aber im Allgemeinen handelt es sich um Weiler des Dorfes. Auch wenn es keine Eigentumsurkunde hat, so hat es doch eine Organisation. Unabhängig von der Beschaffenheit und den Besitzverhältnissen des Landes werden bewaldete Gebiete zerstört. Dies entspricht in keiner Weise dem Gesetz. Es werden natürlich Vorwände gefunden, um das zu machen. Vor zwei Jahren gab es Baumfällungen in einem Gebiet in unserem Eigentum. Wir haben uns sowohl an die Provinzdirektion für Forstwirtschaft als auch an die Regionaldirektion in Riha (Urfa) gewandt, um die Rodungen zu stoppen. Die Provinzdirektion für Forstwirtschaft gab uns eine sehr absurde Antwort. Sie sagten, dass man in dem Waldgebiet eine Verjüngung der Waldstruktur durchführe. Eine solche Rechtfertigung kann es nicht geben. Gegen die Zustimmung der Eigentümer:innen werden Waldgebiete abgeholzt und als Entschädigung wird ein sehr geringer Betrag gezahlt, ein Almosen. Vor zwei Jahren wurde den rechtmäßigen Besitzern ein Betrag von 400 bis 500 TL pro Anhänger gezahlt. Beim Verkauf der Bäume wird der Preis jedoch auf der Grundlage von Tonnen festgelegt. So kostete damals eine Tonne Bäume 1500–2000 Lira. Ein Traktor kann zwei bis drei Tonnen Bäume transportieren. Es handelt sich also um furchtbarste Ausbeutung.
Die Rolle der Dorfschützer
Die Rodungen in Botan finden mithilfe der Dorfschützer statt. Was können Sie dazu sagen?
Die Bilder von den Bäumen, die gefällt werden und auf Traktoren verladen werden, stammen aus Komate. Der Einschlag erfolgte in dem Waldgebiet, das an das Dorf Andaç angrenzt. Gleich oberhalb der Straße nach Elkê gibt es ein Gebiet, das wir Xabur 2 nennen, das ist dort in der Nähe. Als ich am Vorabend des Zuckerfestes in das Dorf Andaç ging, erzählten mir die Dorfbewohner, dass die Dorfschützer gekommen waren und sich mit ihnen getroffen hätten. Die Menschen erklärten: „Wir wollen unser Waldgebiet nicht zur Vernichtung freigeben. Es ist unser Lebensraum, es ist auch unsere ökonomische Lebensgrundlage, wir füttern unsere Tiere davon.“ Trotz all dieser Einwände sagten die Dorfschützer zu den Dorfbewohnern: „Wir werden diese Bäume fällen, ob ihr nun zustimmt oder nicht, und wir werden euch das Geld geben.“ Sie sagten, der Staat habe ihnen in dieser Angelegenheit einen direkten Auftrag erteilt. Danach überwachten die Dorfbewohner die Rodungen, so dass, wenn die Fällung obligatorisch war, wenigstens einige von uns dabei waren und es nicht zu einer vollständigen Plünderung kam. Leider findet dort jetzt ein regelrechtes Massaker am Wald statt. Unser Vertreterin Newroz Uysal hat ebenfalls ein Video aufgenommen. Es gab einen Streit zwischen den Rodungsarbeitern. Die Dorfschützer sind schon seit Jahren direkt oder indirekt an diesen Rodungen beteiligt. In der Region findet unter dem Deckmantel der „Sicherheits“-Politik ein Massaker an der Natur statt. Die Rolle der Dorfschützer in diesem Kreislauf ist nicht überraschend. Jeder erfüllt seinen eigenen Teil dieser Mission.
„Es geht auch um Entvölkerung im ökologischen Sinne“
Sie haben erwähnt, dass die Umweltzerstörung und die „Sicherheits“-Politik zu einem Profitnetzwerk verschmolzen sind. Könnten Sie dies näher erläutern?
Nach 2016 hat die AKP/MHP-Regierung eine neue „Sicherheits“-Politik für die Region eingeführt. Es gibt ein Konzept der Besatzung und Entvölkerung in Bezug auf die Region. Dieses Vorgehen hat nicht nur eine soziale und wirtschaftliche Komponente, sondern auch eine ökologische. Das gilt besonders für Şirnex. Wir sehen das sehr deutlich. Es gibt ein regelrechtes Massaker an der Natur. Sowohl in Cûdî, Gabar und Besta. Die Orte, an denen die Bäume gefällt werden, wechseln sich von Zeit zu Zeit. Im Moment werden die meisten Bäume in Elkê gefällt, aber vor ein bis zwei Jahren war das Gebiet um Besta der Schwerpunkt der Rodungen. Die Nachrichtenagentur Mezopotamya veröffentlichte Satellitenbilder des Gebiets. Es war sehr deutlich zu erkennen, welches Ausmaß der Raubbau hat. Letztes Jahr lag der Fokus auf Gabar. In diesem Jahr geht es sowohl um die Seite des Cûdî, die in Richtung Silopiya fällt, das Gebiet, das wir Bilika nennen, als auch Komate in Elkê.
Das AKP/MHP-Regierung zielt mit aller Kraft auf den militärischen, politischen, sozialen und psychologischen Zusammenbruch der Region ab. Leider ist auch die ökologische Zerstörung ein Teil dieses Unterwerfungsplans. Natürlich gilt dies nicht nur für Şirnex. Auch in Bedlîs (Bitlis), Çewlîg (Bingöl), Dersim, Mêrdîn (Mardin) und Amed (Diyarbakir) sind von den vollständigen Abholzungen betroffen. Begründet wird dies mit der Zerstörung von Verstecken und Zufluchtsorten. Der Staat selbst sagt, dass die Orte, die nicht abgeholzt werden können, niedergebrannt werden müssen. Die Politik geht also eindeutig in diese Richtung. Dies ist einer der Hauptgründe für das Abbrennen der Wälder in Şirnex. Es ist Sommer. Wir wissen sehr wohl, dass die nicht abgeholzten Flächen verbrannt werden, leider überrascht uns das nicht mehr. Denn das ist schon lange Praxis.
„Die Region wird durch Ölsondierungen umgegraben“
Könnten Sie noch ein paar Worte zu den Ölsondierungsarbeiten sagen?
Ja, natürlich. Auch an der Gabar-Linie gibt es derzeit schwere Ausbeutung. Sowohl die Abholzung von Waldgebieten als auch der Bau von Straßen zu den Orten des Raubbaus hängen zusammen. Die Dorfbewohner berichten, dass zum Beispiel die Wasserquellen an einigen Stellen versiegt sind. Sie sagen, dass sie aufgrund der Bohrungen ihre Gärten nicht mehr bewässern können. Der Cûdî ist auf beiden Seiten von Kohleminen und Ölexplorationsaktivitäten durchlöchert. In Besta, vor allem auf der Eruh (Dihê)-Seite, auf der Herekol-Seite, werden Waldgebiete abgeholzt. Diese Gebiete wurden zu „Sondersicherheitszonen“ also militärischen Sperrgebieten erklärt, die weder betreten noch verlassen werden dürfen. Das ist der Status aller Gebiete. Es ist nicht erlaubt, das Gebiet zu betreten. Aber wenn wir uns anschauen, für wen das Betreten der Gebiete verboten ist, dann wird der Hintergrund klar. Denn für diejenigen, die zum Beispiel die Bäume fällen, ist es nicht verboten. Auch Ölexplorationsfirmen können ohne weiteres in diese Gebiete gehen, bohren und ihre Arbeit verrichten. Die Mitarbeiter der MTA können die Region ganz bequem betreten. Für sie gibt es also kein Verbot. Aber für Nomaden ist es Sperrgebiet. Es sind auch Sperrgebiete für Menschen, die in ihre Dörfer reisen oder ihre Gärten bewässern wollen. Wenn man zum Beispiel nach Cûdî gehen will, ich spreche speziell von der Region auf der Seite von Şirnex, darf man ohne Genehmigung keinen Schritt gehen. Wer erteilt die Genehmigung, die Militärpolizei. Sie geben nicht jedem eine Genehmigung. Selbst in den 90er Jahren gab es keine solche Politik. Es gab viele Proteste, letztes Jahr wurde ein Marsch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Umweltschützer:innen aus dem Westen organisiert. Was die rechtliche Dimension betrifft, so hat die Anwaltskammer von Şirnex in all diesen Fragen Strafanzeige erstattet. Einzelne Personen haben Strafanzeige erstattet. Aber das hat keine Folgen. Es gibt eine Anordnung, dem nicht nachzugehen. Man kann kein Ergebnis auf rechtlicher, politischer oder sozialer Ebene erzielen. Deshalb sagen wir, dass hier koloniales Recht angewendet wird. Sowohl gegen die Natur als auch gegen die Gesellschaft, gegen alles, was zu dieser Geographie gehört. Diese Situation hängt natürlich mit der kurdischen Frage zusammen. Solange die kurdische Frage nicht vollständig gelöst ist, werden wir leider mit solchen Praktiken konfrontiert werden.