Medienverbände protestieren in Ankara gegen Repression
Anlässlich des Welttags der Pressefreiheit am 3. Mai haben sich zahlreiche Verbände und Gewerkschaften in Ankara vor dem Justizministerium versammelt, um gegen die zunehmende Repression gegenüber der freien Berichterstattung in der Türkei zu protestieren. Unter dem Motto „Journalismus ist kein Verbrechen“ forderten sie ein sofortiges Ende der Kriminalisierung ihrer Berufsgruppe.
Zu den Organisator:innen der Aktion gehörten unter anderem der Verein Dicle Firat (DFG) sowie die Vereinigung der Journalistinnen Mesopotamiens (MKG), die Pressegewerkschaften DISK Basın-Iş und Haber Sen, sowie die Journalistenverbände ÇGD und TGC. Vor Ort erinnerten die Teilnehmenden mit Fotos an ermordete Kolleg:innen sowie an inhaftierte Journalist:innen. „Freie Presse lässt sich nicht zum Schweigen bringen“ und „Es lebe die freie Presse“ lauteten die Rufe.
Pressefreiheit im Sinkflug
„Dass die Türkei im aktuellen Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Platz 159 von 180 zurückgefallen ist, ist kein Zufall“, erklärte Izel Sezer vom Vorstand von DISK Basın-Iş. „Zensur, ökonomische Erpressung durch staatliche Institutionen wie den Presserat oder die Rundfunkaufsicht RTÜK, Einschränkungen durch das neue Desinformationsgesetz, prekäre Arbeitsbedingungen und fehlende Gewerkschaftsrechte – all das hat das Arbeitsumfeld für Medienschaffende dramatisch verschlechtert.“
Der Journalist und ANF-Korrespondent Nazım Daştan (Bild) wurde Ende 2024 bei einem türkischen Drohnenangriff in Rojava ermordet
Angriff auf das Recht auf Information
Sezer betonte, dass die Festnahmen von Journalist:innen nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch das Recht der Öffentlichkeit auf Information bedrohten: „Wer von Protesten berichtet, kritisch schreibt oder der Regierung nicht passt, wird kriminalisiert. Journalist:innen werden in Polizeigewahrsam genommen, unter Hausarrest gestellt oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das ist ein direkter Angriff auf die demokratische Grundordnung.“
Besonders besorgniserregend sei der jüngste Vorstoß, Journalist:innen künftig unter dem Vorwurf einer vermeintlichen „Einflussagententätigkeit“ strafrechtlich verfolgen zu können. Dabei handelt es sich um ein vage definiertes Konzept, das Aktivitäten beschreibt, bei denen eine Person oder Organisation – vermeintlich im Interesse eines anderen Staates oder einer ausländischen Organisation – versucht, politische Entscheidungen, die öffentliche Meinung oder gesellschaftliche Prozesse manipulativ zu beeinflussen.
Solche Gesetzespläne, warnen die Berufsverbände, könnten jede kritische journalistische Arbeit unter Generalverdacht stellen. Denn Einflussnahme durch „Informationsverbreitung“ oder „Meinungsbildung“ sei definitionsgemäß die Aufgabe von Medien – und dürfe nicht kriminalisiert werden. „In einem demokratischen System ist es die Aufgabe von Journalist:innen, auf Missstände hinzuweisen, Öffentlichkeit herzustellen und Macht zu kontrollieren. Wenn dies als Spionage oder Agententätigkeit interpretiert wird, ist das das Ende der Pressefreiheit“, betonte Izel Sezer.
Alle Kolleg:innen freilassen
Die Sorge ist, dass durch diese neue Gesetzesinitiative eine zusätzliche rechtliche Grauzone geschaffen wird, in der regierungskritische Stimmen mit dem Vorwurf der „unsichtbaren Einflussnahme“ zum Schweigen gebracht werden können – insbesondere bei Berichterstattung über sicherheitsrelevante, geopolitische oder menschenrechtliche Themen. Die Forderung der Verbände an das Justizministerium ist klar: Ein Ende der rechtlichen Verfolgung, Schutz für Pressefreiheit und die sofortige Freilassung aller inhaftierten Journalist:innen.
DFG: „Pressefreiheit ist in weiter Ferne“
Selman Güzelyüz von DFG kritisierte die Diskrepanz zwischen dem internationalen Tag der Pressefreiheit und der Realität in der Türkei: „Während weltweit der Tag der Pressefreiheit gefeiert wird, bedeutet er für uns vor allem Widerstand. Journalist:innen werden verfolgt, weil sie sich nicht in das von der Regierung vorgegebene Narrativ einfügen. Sie werden bedroht, verhaftet, getötet.“ Güzelyüz erinnerte an die Ermordung kurdischer Journalist:innen wie Aziz Köylüoğlu, Cihan Bilgin und Nazım Daştan durch türkische Drohnen in Rojava sowie Südkurdistan. Der Einsatz der kurdischen Presse für Wahrheit und Gerechtigkeit werde mit Gewalt beantwortet.
„Die Zahl der Mikrofone zeigt den Zustand der Pressefreiheit“
Ceylan Akça, Abgeordnete der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), verwies in ihrer Ansprache auf den symbolischen Wert der Versammlung. „In einem Land mit über 50 Nachrichtenagenturen sagt allein die Zahl der Mikrofone vor dem Justizministerium viel über den Zustand der Pressefreiheit aus“, sagte Akça. Sie würdigte namentlich alle getöteten und inhaftierten Journalist:innen und rief dazu auf, den Kampf für eine freie, unabhängige Presse fortzusetzen.