Dem Fernsehsender NRT TV mit Sitz in Silêmanî droht das Aus. Wie Dindar Zebari, Koordinator für internationale Beziehungen in der südkurdischen Regionalregierung am Sonntag mitteilte, habe Hewlêr (Erbil) bereits rechtliche Schritte eingeleitet, um die Schließung des Kanals zu erwirken. Die Klage ist demnach vom Ministerium für Kultur und Jugend eingereicht worden, der Prozess beginnt im September.
Laut Zebari habe das Ministerium den Sender mehrmals eindringlich aufgefordert, die Pressefreiheit nicht zur „Durchsetzung politischer Zwecke zu missbrauchen“. Insbesondere in Zeiten wie diesen müsste die Rhetorik mild und weniger kritisch ausfallen, habe es in schriftlichen Verwarnungen an NRT TV geheißen, auf die der Kanal aber nicht reagierte. Zebari begründete die Rügen damit, dass der Sender die Öffentlichkeit dazu ermutige, im Zuge der Corona-Pandemie erlassene Beschränkungen zu verletzen und dadurch Massen auf den Straßen mobilisiert. NRT TV bestreitet die Anschuldigungen und sieht politisches Kalkül hinter der Klage. Der Sender ist eine der wenigen verbliebenen oppositionellen Medieneinrichtungen in Südkurdistan, deren kritische Berichterstattung auf Regierungsebene unerwünscht ist.
Der Nachrichtensender NRT startete im Februar 2011unter dem Namen Nalia TV als erster unabhängiger, kurdischer Nachrichtensender in der Autonomieregion seinen Betrieb. Schon drei Tage später wurde die Zentrale in Silêmanî von etwa fünfzig bewaffneten Personen angegriffen und ein Fernsehstudio niedergebrannt. Der Überfall fand während der Demonstrationen gegen die Barzanî-Regierung statt. NRT war damals der einzige darüber berichtende Nachrichtensender, eine Aufklärung des Falles gab es bis heute nicht. Im Oktober 2013 wurde NRT-Gründer Shaswar Abdulwahid von Unbekannten aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug angeschossen und schwer verletzt. Er überlebte das Attentat und gründete später die Bewegung Nifşê Nû (soranisch: Naway Nwe, deutsch: Neue Generation).
Nach dem Brandanschlag auf NRT TV
Die Aushebelung der Rede- und Pressefreiheit in Südkurdistan ist kein neues Phänomen. Doch insbesondere seit dem Unabhängigkeitsreferendum im September 2017 gehen die PDK-Regierung und ihre Behörden härter denn je gegen kritische Journalist*innen, aber auch gegen die Zivilgesellschaft vor. Nifşê Nû hatte sich damals gegen die Durchführung der Volksabstimmung ausgesprochen, NRT TV berichtete entsprechend kritisch und ließ Menschen zu Wort kommen, die gegen das Referendum mobilisierten. Das wird dem Sender nun auch in der Prozessankündigung zum Vorwurf gemacht.
Neben der Beschuldigung, „das Image der Führung zu kompromittieren“ und „die heiligen Werte der Gesellschaft zu missachten“, stünde in dem Schreiben zudem: „Einige Personen und Nachrichtenagenturen haben in jeder Hinsicht gegen die Erfahrung der Region Kurdistan gehandelt, ungeachtet aller nationalen Werte. Sie - NRT und der Eigentümer des Senders, Shaswar Abdulwahid mit einbezogen - haben keinen Respekt vor diesen Heiligtümern. Sie haben sich gegen die Werte der kurdischen Nation gestellt und Kampagnen gegen die Durchführung des Referendums organisiert.” Und das, obwohl die Regionalregierung „gute Arbeit” im Umgang mit Grundrechten leiste und Menschenrechte „auf allen Ebenen” schütze, insbesondere den Journalismus. „Es kann daher nicht möglich sein, dass es neuerdings die Berufung von Journalisten ist, die Freiheit anderer Menschen zu verletzen und zu Unruhen sowie Chaos anzustiften und die gesellschaftliche Sicherheit zu stören.” Nifşê Nû hat in den letzten Wochen in zahlreichen Städten Südkurdistans Demonstrationen gegen die Regierung organisiert. Mehrere Korrespondenten des Senders wurden am Rande der Proteste festgenommen, außerdem wurde ihre Ausrüstung beschlagnahmt. Der Prozess gegen NRT TV wird am 9. September in Hewlêr eröffnet.