Neues Verfahren gegen Journalist Oktay Candemir

Zum wiederholten Mal soll sich Oktay Candemir wegen seiner Tätigkeit als Journalist vor Gericht verantworten. Erneut wird ihm Terrorpropaganda vorgeworfen. Als Beweis werden Fotos herangezogen, die zwischen 2005 und 2009 bei Kundgebungen entstanden sind.

Der kurdische Journalist Oktay Candemir steht demnächst wieder vor Gericht. Hintergrund des Verfahrens ist der Vorwurf der Propaganda für eine Terrororganisationen, den sich der Journalist zum wiederholten Mal gefallen lassen muss. Die von der Generalstaatsanwaltschaft Van (ku. Wan) verfasste Anklageschrift ist bereits von der 5. Schwurgerichtskammer der Provinz angenommen worden.

Als vermeintliche Beweise gegen Candemir zieht die Anklagebehörde in ihrer vierseitigen Anklageschrift unter anderem Fotografien und Videos auf Speichermedien heran, die vor zwei Jahren bei einer polizeilichen Razzia in der Wohnung des 45-Jährigen beschlagnahmt worden waren. Die kriminalisierten Aufnahmen entstanden zwischen 2005 und 2009 bei Veranstaltungen und Kundgebungen der DTP in Städten wie Agirî (tr. Ağrı), Qers (Kars) und Reşqelas (Iğdır). Die DTP (Partei der demokratischen Gesellschaft) wurde 2005 gegründet und setzte sich für die nationale Anerkennung der Kurdinnen und Kurden ein. 2009 wurde die Partei wegen einer behaupteten Nähe zur PKK von der türkischen Justiz verboten.

Facebook-Einträge ebenfalls angebliche Beweise für Terrorpropaganda

Laut der Anklage seien in den beschlagnahmten Videos Personen zu hören, welche die Parole „Bijî Serok Apo“ (Es lebe Vorsitzender Apo, gemeint ist Abdullah Öcalan) gerufen hätten. Laut türkischer Rechtsprechung ist der Ausruf nicht verboten und von der Meinungsfreiheit geschützt. Im März 2020 urteilte der türkische Verfassungsgerichtshof, dass die „Unterstrafestellung von angeblicher Terrorpropaganda“ im Zusammenhang mit Bijî Serok Apo „als vermeintlich abstraktes Gefährdungsdelikt das Potenzial hat, die verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten, insbesondere die Meinungsfreiheit, einzuschränken.“

Auch Einträge beim digitalen Netzwerk Facebook werden Candemir zum Vorwurf gemacht. Beanstandet werden vier Posts aus den Jahren 2014 und 2015, auf denen PKK-Fahnen sowie „ein Mitglied der Terrororganisation“ zu sehen seien. Der Prozessauftakt ist auf den 17. Juni anberaumt. Bei einer Verurteilung drohen dem Journalisten bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe.

Immer wieder im Visier der Sicherheitsbehörden

Seit zwei Jahrzehnten arbeitet Oktay Candemir als Journalist, unter anderem für die 2016 per Notstandsdekret verbotene kurdische Nachrichtenagentur DIHA. Auch für ANF war er lange Jahre als Korrespondent für Wan tätig. Immer wieder geriet er dabei ins Visier der Sicherheitsbehörden. So wurde er bereits über 40 Mal in den letzten vier Jahren zur Polizei vorgeladen, außerdem musste er sich bereits mit mehr als zwei Dutzend Ermittlungsverfahren auseinandersetzen. Dreimal wurde er bei Razzien festgenommen und nur gegen Meldeauflagen auf freien Fuß gesetzt. Seit Anfang 2018 muss er sich wöchentlich bei den Behörden melden. Ein Jahr saß er in verschiedenen Gefängnissen in Untersuchungshaft. Anfang März wurde er in einem Prozess wegen vermeintlicher Präsidentenbeleidigung freigesprochen.