Der kurdische Journalist Oktay Candemir ist vom Vorwurf der Präsidentenbeleidigung freigesprochen worden. Die 3. Strafkammer des Landgerichts Van (ku. Wan) entschied am Donnerstag, dass der 44-Jährige nicht gegen Artikel 299 des türkischen Strafgesetzbuchs, der die Beleidigung des türkischen Staatsoberhaupts unter Strafe stellt, verstoßen hat. Es handelte sich um das dritte Verfahren gegen Candemir, das wegen „Präsidentenbeleidigung” angestrengt worden war. Zuvor war er bereits zweimal von diesem Vorwurf freigesprochen worden.
In dem nun abgeschlossenen Verfahren wurde Candemir eine am 5. September 2019 in einer Regionalzeitung aus Wan erschienen Kolumne vorgeworfen. Konkret ging es um die darin enthaltene Kritik an der Absetzung von kurdischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern. Zwei Wochen vor Erscheinen der Kolumne hatte die Repressionswelle in HDP-geführten Kommunen mit der Absetzung der Oberbürgermeister*innen von Amed (tr. Diyarbakir), Mêrdîn (Mardin) und Wan (Van) begonnen.
Candemir hatte in seinem Beitrag darauf hingewiesen, dass die AKP in der Türkei schrittweise ein Regime errichtet, in dem Mandatsträger*innen nicht mehr gewählt, sondern ernannt werden. Das Torpedieren der kurdischen Kommunalpolitik auf Anweisung Recep Tayyip Erdoğans hatte er als eine „autoritäre Politik der Zerschlagung” bezeichnet. Nach Auffassung des Gerichts seien die Aussagen Candemirs nicht zu beanstanden und von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Höchststrafe für Präsidentenbeleidigung: Vier Jahre und acht Monate
Die Höchststrafe für Präsidentenbeleidigung liegt in der Türkei bei vier Jahren und acht Monaten. Unter der Regierung von Erdoğan gibt es inzwischen jährlich tausende Ermittlungsverfahren. Der AKP-Chef gilt als der am schnellsten beleidigte Präsident der Welt. Allein zwischen 2016 und 2019 wurden in der Türkei 9.276 Menschen zu Haft- oder Geldstrafen verurteilt, weil sich Erdoğan von ihren Äußerungen beleidigt fühlte.
Immer wieder im Visier der Sicherheitsbehörden
Seit knapp zwei Jahrzehnten arbeitet Oktay Candemir als Journalist, unter anderem für die 2016 per Notstandsdekret verbotene kurdische Nachrichtenagentur DIHA. Auch für ANF war er lange Jahre als Korrespondent tätig. Immer wieder geriet er dabei ins Visier der Sicherheitsbehörden. So wurde er bereits über 40 Mal seit 2016 zur Polizei vorgeladen, außerdem musste er sich bereits mit mehr als zwei Dutzend Ermittlungsverfahren auseinandersetzen. Dreimal wurde er bei Razzien festgenommen und nur gegen Meldeauflagen auf freien Fuß gesetzt. Seit Anfang 2018 muss er sich wöchentlich bei den Behörden melden. Im Rahmen des sogenannten KCK-Presseverfahrens saß er rund ein Jahr lang in Untersuchungshaft.