Der am Samstag in Semsûr (tr. Adıyaman) festgenommene Journalist Mahmut Altıntaş ist nach mehrstündiger Polizeihaft und gerichtlich verordneten Meldeauflagen erneut in Gewahrsam genommen worden. Grundlage der zweiten Festnahme war nach Angaben der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA), für die Altıntaş arbeitet, die Anzeige eines Beamten der sogenannten Antiterrorpolizei TEM. Der Polizist hätte behauptet, zusammen mit weiteren Kollegen von dem Journalisten geschlagen worden zu sein. Außerdem soll der Journalist versucht haben, zu flüchten. „Ein Konstrukt aus Lügen“, erklärte Altıntaş und wies die Anschuldigungen zurück.
Der Vorfall soll sich gestern auf dem Gelände des Justizpalastes von Adıyaman abgespielt haben, als Altıntaş nach seiner ersten Festnahme zwecks Vernehmung zur diensthabenden Staatsanwaltschaft gebracht wurde. „Das Problem an der Geschichte ist: Unser Mitarbeiter war zu dem Zeitpunkt, als er mehrere Polizisten verprügelt haben soll, gefesselt“, erklärte MA. „Seine Hände waren vor seinem Körper mit Metallringen zusammengebunden. Darüber hinaus war es Mahmut Altıntaş, der Opfer von Gewalt wurde. Er ist von fünf Polizisten drangsaliert und attackiert worden. Die Überwachungskameras des Gerichts haben die Szenen eingefangen.“
Altıntaş war am Samstag auf dem Weg zu einer Reportage im Zentrum von Semsûr, einer Provinz im kurdischen Südosten des Landes, die von dem Erdbeben vor rund einem Jahr schwer erschüttert wurde, als das Auto, in dem er sich befand, von der Polizei gestoppt wurde. Mit der Begründung, dass eine Anordnung zur Festnahme vorliege, wurde der Journalist zur Polizeidirektion von Semsûr gebracht. Seine Begleitpersonen wurden über den Grund der Festnahme nicht informiert.
Kolleginnen und Kollegen begrüßen Altıntaş nach seiner Freilassung (c) MA
Auf der Antiterrorzentrale stellte sich sodann heraus, dass die Polizei Adıyaman gegen Altıntaş im Zusammenhang mit dessen journalistischer Tätigkeit ermittelt. Die mit dem Label „Terrorismus“ versehene Akte beinhaltet laut MA 24 Seiten, die fast ausschließlich Artikeln gewidmet seien, die durch die Agentur publiziert und von Altıntaş persönlich verfasst oder von ihm in Online-Netzwerken wie „X“ geteilt wurden. „Terrorpropaganda in den sozialen Medien“ laute der konkrete Vorwurf, den die Polizei gegen den Journalisten erhebe.
Nach einer anschließenden Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft verhängte die diensthabende Kammer aufgrund der Polizeiermittlungen ein Ausreiseverbot gegen Altıntaş, zudem wurden regelmäßige Meldeauflagen angeordnet. Der Mechanismus gilt als Alternative zur Haft und wird von der türkischen Justiz exzessiv ausgeschöpft, um unliebsame Personen unter Kontrolle zu halten. Grundlage der als „Präventivmaßnahme“ bezeichneten Meldeauflage ist das 2013 in Kraft getretene Gesetz zur „Freilassung unter Kontrolle“. Besonders betroffen sind Menschen aus der demokratischen Opposition, kurdischen Presse und Zivilgesellschaft.
Nachdem Altıntaş auf freien Fuß gesetzt wurde, ließ er sich in einem Krankenhaus die vor Gericht erlittene Polizeigewalt attestieren. In dem Bericht, den ANF einsehen konnte, sind unter anderem Hämatome im Halsbereich und an den Armen sowie eine aufgeplatzte Lippe dokumentiert. Anschließend suchte Altıntaş das Polizeipräsidium auf, um Anzeige gegen die fünf gewalttätigen Beamten zu erstatten. Offenbar als Vergeltungsmaßnahme, so beschreibt es MA, reichte einer der Polizisten eine Beschwerde gegen den Journalisten ein – wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Altıntaş wurde erneut zu Gericht gebracht und diesmal stellte die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehles. Der Richter kam der Forderung aber aufgrund der zuvor verordneten Meldeauflagen nicht nach.
Repression gegen freie Presse
Die Türkei ist eines der Länder, in denen die Pressefreiheit quasi abgeschafft wurde und Festnahmen, Verfolgung und juristische Schikane den Alltag von Journalistinnen und Journalisten bestimmen. Auch Mahmut Altıntaş ist dieser Zustand nur allzu gut bekannt. Nicht zum ersten Mal wurde er bei der Ausübung seines Berufs festgenommen. Auch viele seiner Kolleginnen und Kollegen kommen immer wieder in Gewahrsam, einige sind aufgrund ihrer unliebsamen Berichterstattung im Gefängnis. Die Nachrichtenagentur MA, die in der Tradition der freien kurdischen Presse publiziert, steht im ständigen Fokus der Repression in der Türkei. Nach Angaben der Journalistenvereinigung Dicle Firat (DFG) befinden sich derzeit mindestens 57 Medienschaffende in türkischen Gefängnissen.