Die kurdische Journalistin Dicle Müftüoğlu bleibt in der Türkei in Haft. Ein Gericht in Amed (tr. Diyarbakır) lehnte am Donnerstag den Antrag der Verteidigung ab, die Ko-Vorsitzende der Medienorganisation Dicle-Firat (DFG) freizulassen. Nach vorläufiger Würdigung bestehe „kein durchgreifender Zweifel am dringenden Tatverdacht“, begründeten die Richter der für hohe Freiheitsstrafen in sogenannten Terrorverfahren berüchtigten 5. Großen Strafkammer zu Diyarbakır ihre Entscheidung. Zudem bestünde Fluchtgefahr.
Dicle Müftüoğlu, die Redakteurin der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) ist, befindet sich seit Mai vergangenen Jahres wegen des Verdachts der Gründung und Leitung einer Terrororganisation sowie angeblicher Mitgliedschaft in dieser im Frauengefängnis Sincan bei Ankara in Untersuchungshaft. Medieneinrichtungen und Gewerkschaften hingegen gehen davon aus, dass die Anschuldigungen gegen die Journalistin im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für die freie kurdische Presse stehen – auch deshalb, weil sie im Zuge einer Festnahmewelle nur kurz vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl inhaftiert worden war.
Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei ihren Vorwürfen gegen Müftüoğlu hauptsächlich auf Aussagen von Belastungszeugen, auf die auch in anderen Prozessen gegen kurdische Presseleute oder auch in dem als Kobanê-Verfahren bekannten politischen Schauprozess gegen die HDP zurückgegriffen wird. Einer dieser Informanten soll der „anonyme Zeuge „K8Ç4B3L1T5“ sein, der in einem anderen Verfahren gegen kurdische Medienschaffende angegeben hatte, als staatlicher Agent bei der Nachrichtenagentur Mezopotamya tätig gewesen zu sein. Für ihren politischen Vernichtungsfeldzug gegen die kurdische Opposition unterhält die türkische Justiz schon länger einen Kronzeugenpool, aus dem sie sich nach Bedarf bedient.
Der Prozess gegen Müftüoğlu wird nach Angaben ihrer Verteidigung am 29. Februar fortgesetzt. Der Generalsekretär der Pressegewerkschaft DISK Basın-İş, Turgut Dedeoğlu, rief Journalistinnen und Journalisten auf, das Verfahren solidarisch zu begleiten. Er hält das Verfahren für ein „juristisches Desaster“. „Dicle ist angeklagt im Theater der Justiz. Sie ist ohne gesetzliche Grundlage und im Widerspruch zum Verständnis eines modernen Staates in Haft. Andere Angeklagte aus demselben Verfahren sind wieder frei. Auch sie muss freigelassen werden.“
Nicht zum ersten Mal im Visier der türkischen Justiz
Dicle Müftüoğlu befindet sich schon länger im Fokus der türkischen Verfolgungsbehörden. Ende 2020 wurde sie wegen eines 2014 von ihr im Internet geteilten Fotos vom Kampf gegen die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) im nordsyrischen Kobanê zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Damals war sie Chefredakteurin der im Herbst 2016 nach dem angeblichen Putschversuch in der Türkei per Notstandsdekret verbotenen Nachrichtenagentur DIHA. Das Gericht warf ihr „Propaganda für eine Terrororganisation“ vor. Wenige Wochen später wurde ein neues Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet, ebenfalls wegen vermeintlicher Terrorpropaganda im Netz. Im Juni 2022 wurde die Journalistin erneut verhaftet.