Die Repression der türkischen Justiz gegen unliebsame Medienschaffende in der Tradition der freien kurdischen Presse dauert an. Gleich zwei Journalisten wurden am Dienstag bei verschiedenen Prozessen in Amed (tr. Diyarbakır) und Xarpêt (Elazığ) zu Freiheitsstrafen verurteilt. Wie so oft, wenn es gegen kurdische Presseleute geht, lautet der vage Vorwurf der Behörden „Propaganda für eine Terrororganisation“.
Weitere Haftstrafe gegen Chefredakteur kurdischer Zeitung
In Amed wurde gegen Ismail Çoban verhandelt. Der ehemalige Chefredakteur der per Notstandsdekret im Oktober 2016 verbotenen kurdischen Wochenzeitung Azadîya Welat nahm nicht an der Verhandlung vor der fünften Kammer für schwere Straftaten teil, weil er sich aufgrund mehrerer rechtskräftiger Urteile bereits seit Jahren hinter Gittern befindet – aktuell im Hochsicherheitsgefängnis Maraş-Türkoğlu.
Gegenstand des aktuellen Verfahrens gegen Çoban sind Vorwurfe, die mit Berichten in der Azadîya Welat während der Belagerung der nordsyrischen Stadt Kobanê durch die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Herbst 2014 und den damaligen Protesten gegen die Unterstützung der türkischen Regierung für den IS zusammenhängen. Der Journalist war deshalb zu einer 20-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Weil er aber in der Bewährungszeit weitere „Straftaten” begangen haben soll, für die er inzwischen ebenfalls verurteilt wurde – unter anderem wegen angeblicher PKK-Mitgliedschaft im Zusammenhang mit seiner Arbeit für Azadiya Welat – kam es zu einem Bewährungswiderruf.
Der Richter war eigener Aussage nach „gnädig” und verhängte diesmal ein Jahr, sechs Monate und 22 Tage gegen Çobans statt 20 Monate. Einwände von Çobans Verteidiger Resul Temur, die Anklage stelle kurdischen Journalismus als Straftat dar und die „inkriminierten“ Artikel sowie Berichte des Mandanten seien von der Meinungs- Informations- und Pressefreiheit gedeckt, ließ das Gericht nicht gelten. Temur kündigte an, das Urteil anfechten zu wollen.
Fast zwei Jahre Haft für Mehmet Güleş
In Xarpêt musste sich Mehmet Güleş, ehemaliger Korrespondent der ebenfalls im Jahr 2016 im Zuge des Ausnahmezustands verbotenen kurdischen Nachrichtenagentur DIHA, vor Gericht verantworten. In dem Wiederaufnahmeverfahren geht es um den Vorwurf, über soziale Medien „Terrorpropaganda“ verbreitet zu haben. Dabei handelt es sich nach Aussagen des Journalisten und seiner Verteidigung – ebenfalls Resul Temur, der sich per Videoschalte aus dem Justizpalast in Amed in den Gerichtssaal in Xarpêt einbinden ließ – um Beiträge, die auf der Webseite von DIHA veröffentlicht worden waren. Im ersten Verfahren war Güleş, der inzwischen für die Nachrichtenagentur MA arbeitet, deshalb zu drei Jahren und 45 Tagen Haft verurteilt worden. Der türkische Kassationshof als oberstes Berufungsgericht hob das Urteil allerdings auf, weil die verhängte Freiheitsstrafe unverhältnismäßig hoch gewesen sei, und ordnete ein neues Verfahren an. Nun erhielt Güleş eine Strafe von einem Jahr, neun Monaten und 25 Tagen.