„Die Regierung will die Presse vor den Wahlen zum Schweigen bringen“

Der Mediengewerkschafter Faruk Eren warnt vor einer massiven Repressionswelle gegen die Presse im Vorfeld der Wahlen in der Türkei: Mit dem verabschiedeten Zensurgesetz sollen die Medien vollkommen mundtot gemacht werden.

In den vergangenen 20 Jahren der AKP-Herrschaft wurden insbesondere die Medien und Journalist:innen zum Ziel von Repression. Im Vorfeld von Wahlen versuchte das Regime immer wieder, den Druck auf die Presse zu erhöhen. Während des Ausnahmezustands nach 2015 wurden 250 Journalist:innen wegen ihrer Arbeit inhaftiert. Viele von ihnen waren Kurd:innen. Bei den bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. Mai steht das Schicksal des AKP-Regimes mehr denn je auf dem Spiel. Die von der AKP geführte Volksallianz hat aktuell, eineinhalb Monate vor den Wahlen, massiv an Stärke eingebüßt. Umfragen deuten auf eine Wahlniederlage des Regimes hin. Die AKP versucht daher, vor den Wahlen die Stimmung mit allen Mitteln doch noch zum Kippen zu bringen.

Faruk Eren, Generalvorsitzender der Mediengewerkschaft Basın-Iş im Gewerkschaftsverband DISK, hat sich gegenüber ANF zur aktuellen Situation von Medienschaffenden in der Türkei geäußert.

Der Griff der AKP nach den Medien“

Eren beschreibt die 20 Jahre der AKP-Herrschaft als ein Regime der permanenten Einschränkung der Pressefreiheit und erklärt: „Als die AKP an die Macht kam, konzentrierten sich ihre ersten Aktivitäten auf die Medien. Zuerst fokussierte sie sich auf die Übernahme der Medienkonzerne. Der zweitgrößte Medienkonzern, die Uzan-Mediengruppe, befand sich im Fondsbesitz. Als die AKP an die Macht kam, griff sie darauf zu und wurde zur Eigentümerin der Uzan-Medien.

Dann griff sie auf die Akşam-Gruppe zu. Die Medienkonzerne hatten Erdoğan bereits in den ersten Jahren unterstützt, aber das war ihm nicht genug, und mit dem Kauf der Doğan Media Group, der größten Mediengruppe in der Türkei durch die Demirören Holding, kam ein großer Teil der Medien, 94 Prozent, manche sagen 95 Prozent, unter die Kontrolle der AKP.“

Auf diese Weise schuf die AKP eine Medienlandschaft, die nahezu ausschließlich in ihrem Sinne berichtete. Um dies in den unter ihrer Kontrolle stehenden Medien durchzusetzen, wurden die Unternehmen zunächst von missliebigen Journalist:innen und Kolumnist:innen gesäubert. Alle, die gegen diesen Angriff auf die Pressefreiheit und die Existenz von kritischen Medienschaffenden protestierten, unter ihnen auch Anhänger:innen der AKP, wurden entlassen.

Das AKP-Regime griff die Presse bereits zu Beginn seiner Herrschaft an

Die AKP kam mit einem Diskurs um Liberalisierung und Demokratisierung an die Macht. Dies war jedoch nur Makulatur. So berichtet Eren, dass die AKP die Presse systematisch angegriffen habe, auch zu Zeiten, als von „demokratischer Öffnung“ die Rede war. Er erinnert: „Selbst als der Wind der Demokratie wehte, begann die Regierung bereits in ihren ersten Jahren Verfahren gegen Karikaturisten anzustrengen. Wegen Musa Karts berühmter Katzenkarikatur wurde ein Verfahren eröffnet; und dann wurden gegen Karikaturzeitschriften, die gegen diesen Fall protestierten, ebenfalls Anklagen erhoben. Sefer Selvi verbrachte sogar einige Zeit im Gefängnis. In den folgenden Jahren ihrer Herrschaft begann die AKP in Zusammenarbeit mit der Gülen-Sekte, gegen Journalisten vorzugehen. So zum Beispiel im Verfahren gegen Oda TV oder in den KCK-Presseverfahren, die zur gleichen Zeit stattfanden. Das harte Vorgehen gegen kurdische Medienschaffende wurde fortgesetzt. Der Druck wurde immer stärker und die Presse- und Meinungsfreiheit waren fast nicht mehr gegeben. Mit dem jüngsten Zensurgesetz wird jede Nachricht, die der Regierung nicht gefällt, von den Websites entfernt oder die Journalist:innen werden angeklagt, und diese Prozesse werden in der Regel im Sinne der Regierung abgeschlossen.“

Kurdische Journalist:innen leisten hartnäckig Widerstand“

Die Repression gegen die Presse ging in Folge dessen weiter. Die Zahl der aktuell inhaftierten Journalist:innen war damals allerdings umstritten, sagt Eren und führt aus: „Es gab unterschiedliche Zahlen der verschiedenen Journalistenorganisationen. Während des Ausnahmezustands waren fast 250 Journalisten inhaftiert. Die Grundlage der Debatte war folgende: Der Fahrer von Ekrem Dumanlı hat einen Presseausweis und ist im Gefängnis, er gilt als Journalist, wir kennen viele Journalisten, die aber keinen Presseausweis hatten und zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung arbeitslos waren, sie wurden nicht als Journalisten gezählt. Aber wie ich schon sagte, waren während des Ausnahmezustands fast 250 Journalisten und Journalisten im Gefängnis.

Ich spreche von der Zeit der Verfahren gegen die Zeitungen Cumhuriyet und Özgür Gündem. Die Zahl war bis zum letzten Jahr, als von etwa 40 inhaftierten Journalisten die Rede war, allmählich zurückgegangen. Im vergangenen Jahr setzte erneut eine Verhaftungswelle ein, die sich vor allem gegen kurdische Journalistinnen und Journalisten richtete. So ist die Zahl der Inhaftierten wieder gestiegen. Derzeit befinden sich etwa 70 unserer Kolleginnen und Kollegen im Gefängnis. Niemand kennt die Zahl der angeklagten Journalisten, es sind so viele, weder Presseorganisationen noch Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Angriffen auf die Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung befassen, wissen, wie viele Verfahren eingeleitet worden sind. Selbst ich weiß nicht, wie viele Verfahren gegen mich laufen. Ein Journalist kann mehr als einmal angeklagt werden.

Zur kurdischen Presse möchte ich Folgendes sagen: Es gibt bereits massive Repression gegen kurdische Medien, und nicht nur gegen diese. Es ist sehr schwierig, in den kurdischen Provinzen Journalismus zu betreiben. Ich habe mich mit meinen Kollegen dort unterhalten und war selbst ab und zu dort. Einer meiner Kollegen berichtete mir zum Beispiel: ‚Wir können nicht mit der Kamera auf die Straße gehen, wir stecken die Kamera in einen Müllsack. Wenn die Polizei die Kamera sieht, kommt sie und fragt nach dem Ausweis und wer wir sind.‘ Die journalistische Tätigkeit wird also als potentielle Straftat angesehen.

So ist die Situation, aber trotzdem gibt es einen unglaublichen Widerstand der Menschen, die aus der Region berichten. Trotz der Repression konnte sich der Staat nicht durchsetzen. Von den Dorfbewohnern, die aus dem Hubschrauber geworfen und gefoltert wurden, bis hin zum gefolterten Jugendlichen vor wenigen Tagen, über alles wurde berichtet. Diese Nachrichten haben die Regierung beunruhigt. Die Situation ist so: Die türkischen Streitkräfte führen Operationen jenseits der Grenze durch, und wir erfahren aus den Medien, was in diesen Einsatzgebieten geschieht. Dann werden Journalistinnen und Journalisten in Diyarbakır und Ankara verhaftet, um die Berichterstattung zu stoppen und die Medien einzuschüchtern. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich dabei um eine Maßnahme im Rahmen des Wahlkampfs handelt oder ob sie länger vorbereitet war. Aber da journalistische Arbeit in der Region bereits sehr schwierig ist, ist auch die Sicherheit der Wahl in Gefahr.“

Wir unterstützen diejenigen, die für Demokratie eintreten“

In den vergangenen Tagen wurde das „Gesetz zur Verhinderung von Desinformation“, auch als Zensurgesetz berüchtigt, verabschiedet. Mit dieser Regelung soll die Presse de facto zum Schweigen gebracht werden. Es beinhaltet unter anderem für die „vorsätzliche Verbreitung von Desinformationen und gefälschten Nachrichten” Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Eren warnt, dass die vollumfängliche Anwendung des Gesetzes vor den Wahlen beginnen werden. Er berichtet, dass die Entscheidungen über die Entfernung von Inhalten bereits jetzt an Nachrichten-Websites geschickt werden, ohne die Entscheidung der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Eren sieht heftige Repressionen bevorstehen und sagt: „Die AKP wird versuchen, ungewünschte Publikationen der unabhängigen Medien, die ihr nicht gehorchen, mit diesem Gesetz zum Schweigen zu bringen.“

Zu den Wahlpräferenzen der Gewerkschaftsföderation erklärt Eren: „Als DISK haben wir letzte Woche den Vorstandsrat einberufen. Wir sagen, dass es keine Demokratie ohne Arbeiterkampf und keinen Arbeiterkampf ohne Demokratie geben kann. Wir unterstützen die Kandidaten und Kandidatinnen, die Demokratie wollen. Es ist natürlich klar, wen wir nicht unterstützen werden. Seit 20 Jahren sind wir mit einem Ein-Mann-Regime konfrontiert, einer Regierung, die das Land in einen Alptraum verwandelt hat, die Ausübung der elementarsten Rechte verhindert, die Arbeiterklasse unterdrückt und jeden Streik verbietet. Dagegen kämpfen auch wir. Wir unterstützen den Kandidaten oder die Kandidatin, die dagegen kämpfen. Unser einziges Anliegen ist der Kampf für Demokratie und Arbeit."