Strafen gegen oppositionelle TV-Sender wegen Erdbeben-Berichten

Die für Radio, Fernsehen und Internet zuständige türkische Aufsichtsbehörde RTÜK hat Strafen gegen drei oppositionelle Fernsehsender wegen ihrer kritischen Berichterstattung nach dem schweren Erdbeben verhängt.

Die für Medienkontrolle zuständige türkische Behörde RTÜK hat Strafen gegen drei Fernsehsender wegen ihrer kritischen Berichterstattung nach dem schweren Erdbeben vom 6. Februar verhängt. Aufgrund ihrer Berichte und Kommentare über Mängel bei der Reaktion der Regierung auf das Erdbeben müssen Halk TV, Tele 1 und Fox Geldstrafen zahlen und Sendungen vorübergehend aussetzen. Die Sanktionen machte Ilhan Taşçı, von der Oppositionspartei CHP entsandtes Mitglied des Rundfunkregulierers, über Twitter öffentlich.

Die drei Sender sind bekannt für ihre kritische Berichterstattung über den türkischen Regimechef Recep Tayyip Erdogan und seine AKP und haben seit den verheerenden Erdbeben täglich unbequeme Wahrheiten über den staatlichen Umgang mit der Katastrophe ausgesprochen: Die Blockierung von Hilfsgütern im Erdbebengebiet - insbesondere in Regionen mit hohem alevitischen, arabisch-alawitischen und kurdischem Bevölkerungsanteil, wo die Oppositionsparteien viel Unterstützung erfahren - , die Deklarierung fremder Hilfsmittel und Dienstleistungen als eigene, durch „Sicherheitskräfte“ gelynchte und gefolterte Freiwillige, die man angeblich für Plünderer hält.

Wie hoch die Geldstrafen gegen die Sender ausfallen, ist indes noch nicht bekannt. Laut Taşçı orientierten sie sich am Umsatz der Sender im Januar. Halk TV und Tele 1 müssen zudem eine ihrer täglichen Sendungen fünf Tage lang aussetzen.

„Völlige Schande“

Der Vorsitzende der Türkischen Journalistenvereinigung (TGC), Nazmi Bilgin, kritisierte die Entscheidung als „Straftat“ wegen Missachtung des Rechts der Bevölkerung auf Information. Die Aufsichtsbehörde arbeite wie eine „Zensurbehörde“. Der Chefredakteur von Tele 1, Merdan Yanardag, nannte die Strafen eine „völlige Schande“.

HDP: Pure Willkür der Erdogan-Autokratie

Ähnlich äußerte sich auch die HDP. Es sei eine „skrupellose Entscheidung“, den Aufschrei der Bevölkerung, der sich in der Aussage „Wo ist der Staat?“ vereinigte, durch Sanktionen gegen TV-Sender zu unterdrücken, die das Wort der Betroffenen präsentierten, sagte der für Presse zuständige Abgeordnete Tayip Temel. Das sei pure Willkür der Erdogan-Autokratie. „Mit diesem Beschluss hat RTÜK wieder einmal offen gezeigt, dass es sich um ein Zensur-Gremium handelt, das mehr oder weniger einzig dafür da ist, jegliche Kritik an der Regierung zum Schweigen zu bringen. Was nicht genehm ist, wird abgelehnt. Denn jedes Wort der Betroffenen führt dem Täter sein Scheitern vor Augen.“

Journalismus an der Kette

Von Pressefreiheit ist in der Türkei schon lange nicht mehr die Rede. Mindestens 95 Prozent der Medien befinden sich unter Kontrolle der Regierung oder von Geschäftspartnern und Dutzende Journalist:innen – vor allem Mitglieder der Belegschaft linker und kurdischer Redaktionen – sitzen wegen haarsträubenden Terrorismusvorwürfen im Gefängnis. Mit immer neuen Zermürbungs- und Unterdrückungsinstrumenten wird der Anpassungsdruck auf die verbliebene unabhängige Presse laufend erhöht. Im Oktober war in der Türkei ein Gesetz in Kraft getreten, mit dem die Verbreitung von „Falschnachrichten“ mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Das Gesetz richtet sich neben Zeitungen, Radio und Fernsehen vor allem gegen Onlinenetzwerke und Onlinemedien. Erdogan strebt in diesem Jahr seine Wiederwahl als Präsident an. Das verheerende Erdbeben mit mehr als 42.000 Toten im Osten des Landes und der Umgang der Regierung damit ist in der Türkei zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden.