Mit der Annahme der Anklage durch die 10. Große Strafkammer Diyarbakır (ku. Amed) ist der Haftbefehl gegen die kurdische Journalistin Beritan Canözer aufgehoben worden. Die Korrespondentin der feministischen Agentur JinNews ist auf Grundlage der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung angeklagt und befand sich seit rund zwei Monaten in Untersuchungshaft. Das geforderte Strafmaß gegen sie beträgt siebeneinhalb bis fünfzehn Jahre Haft. Der Termin für die Hauptverhandlung wurde auf den 25. Oktober anberaumt.
Ganz ohne weiteres erfolgte die Aufhebung der U-Haft Canözers am Freitag jedoch nicht. Das Gericht verhängte Meldeauflagen gegen die Reporterin – als sogenannte „Präventivmaßnahme“. Der Mechanismus gilt als Alternative zur Haft und wird von der türkischen Justiz exzessiv ausgeschöpft, um unliebsame Personen unter Kontrolle zu halten. Grundlage ist das 2013 in Kraft getretene Gesetz zur „Freilassung unter Kontrolle“.
Canözer ist eine von vier kurdischen Medienschaffenden, die Ende April unter „Terror“-Vorwürfen verhaftet worden waren. Dem vorausgegangen war eine landesweite Operation gegen die kurdische Opposition und Zivilgesellschaft, in deren Verlauf rund 200 Menschen festgenommen wurden, darunter ranghohe Funktionäre und Mitglieder der Grünen Linkspartei (YSP) und der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Presseleute, Anwältinnen und Anwälte sowie Aktive aus Kunst und Kultur. Mehr als sechzig Personen wurden in der Folge wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK verhaftet und damit nur wenige Wochen vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl aus dem Verkehr gezogen. Die Leitung der Operation liegt formell bei der Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakır, wurde jedoch vom türkischen Innenministerium angeordnet.
Im Fall der verhafteten Medienschaffenden, unter denen sich neben Beritan Canözer auch Mehmet Şah Oruç, Abdurrahman Gök und Remzi Akkaya von der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) befinden, sind die Aussagen der „Zeugenperson Ümit Akbıyık“ Hauptgrundlage für die Ermittlungen. Laut dessen Angaben würden die Journalist:innen „auf Anweisung des PKK-Pressekomitees“ arbeiten, ihre Agenturen MA und JinNews seien „Sprachorgane der Terrororganisation“. Letzterer wirft die Anklage eine „parteiische Berichterstattung“ vor mit „eindeutigen Parallelen zur Ideologie der bewaffneten Terrororganisation PKK/KCK“.
So zeigte sich die Verteidigung Canözers heute wenig überrascht, dass die ersten sechs Seiten der insgesamt 40-seitigen Anklageschrift gegen die Journalistin Ausführungen zur Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), dem Dachverband der kurdischen Bewegung, dem auch die PKK angehört, gewidmet wurden. Weitere 32 Seiten des Papiers enthalten JinNews-Meldungen, die sich inhaltlich mit Themen wie Femizid, Krieg oder der Unterdrückung der kurdischen Sprache befassen. Auch werden Interviews mit kurdischen Politikerinnen inkriminiert, etwa mit der ehemaligen Parlamentsabgeordneten Leyla Güven. Viele dieser Texte stammen aus der Feder von Canözer. Als weitere Beweise für Canözers angeblicher PKK-Mitgliedschaft werden unter anderem Fotos gewertet, die sie auf einer Newroz-Veranstaltung anfertigte.
Das Gericht in Amed beschäftigte sich heute auch mit den Fällen von Abdurrahman Gök und Mehmet Şah Oruç. Die Anklageschrift gegen Gök wurde von der 5. Großen Strafkammer Diyarbakır angenommen, der Prozess wegen des Vorwurfs der PKK-Mitgliedschaft und Terrorpropaganda beginnt am 14. September. Die Akte von Oruç wurde wegen örtlicher Nichtzuständigkeit an ein Gericht in der Provinz Bedlîs (tr. Bitlis) abgegeben. Die Anklageschrift gegen Remzi Akkaya liegt noch nicht vor.