Amed: „Wahlkampf-Sabotage” gegen Opposition

Der YSP-Sprecher Ibrahim Akın sieht in der Festnahmewelle gegen Opposition und Zivilgesellschaft ein deutliches Zeichen der Nervosität und bezeichnet den Vorgang als Wahlkampf-Sabotage. Erdoğan taumele seinem Ende entgegen und hole zum letzten Schlag aus.

Nach dem Schlag der türkischen Führung gegen Zivilgesellschaft und Opposition ist in zahlreichen Städten protestiert worden. In Amed (tr. Diyarbakır), wo der Schwerpunkt der Festnahmen war, versuchte die Polizei eine Demonstration von Mitgliedern und Unterstützenden der Parteien HDP, YSP und DBP zu verhindern. Aufgrund von massiven Interventionen knickte die Behörde jedoch ein und die Aufstandsbekämpftungseinheiten mussten den Weg freigeben. Am Ende wurde die Kundgebung jedoch eingekesselt. 

Im Rahmen einer Großrazzia sind am Dienstagmorgen über hundert Oppositionelle in 21 Städten und Provinzen des Landes festgenommen worden. Unter ihnen befinden sich ranghohe Funktionäre und Mitglieder der HDP und YSP, Medienschaffende, Anwält:innen, Theaterdarstellende und Kunstschaffende. Insgesamt sind 216 Personen zur Festnahme ausgeschrieben. Nach Angaben der HDP und YSP sind alle Betroffenen in den aktuellen Wahlkampf involviert.

Gezielte Schwächung im Vorfeld der Wahlen

Die Leitung der Festnahmewelle liegt formell bei der Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakır. Sie erklärte zur Begründung des Vorgehens, es gehe um Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Den Festgenommenen werde entweder finanzielle oder propagandistische Unterstützung der PKK vorgeworfen. Die HDP und YSP gehen allerdings davon aus, dass das von Süleyman Soylu geleitete Innenministerium Initiator und Lenker der Operation ist. Beide Parteien werfen Ankara vor, weniger als drei Wochen vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. Mai kurdische und demokratische Organisationen schwächen und die Wählerschaft der HDP und YSP verunsichern zu wollen. Es gehe darum, „Beauftragte des Volkes“ und Presseleute, die über die Wahl informieren, und Anwält:innen, die Rechte verteidigen können, wegzusperren.


Andersdenkende wegsperren als politisches Prinzip

„Immer wenn diese Regierung unter Druck gerät, wenn die Herrschenden unfähig sind, unserer demokratischen Politik auf politischer Ebene etwas entgegenzusetzen, wenn sie demonstrieren, wie hilflos und inkompetent sie doch sind, geht sie stets nach demselben Muster vor, um ihre Misere zu bewältigen: Sie lässt Festnahmen durchführen und Juristen, Parteifunktionäre, Journalisten und Künstler wegschließen. Das ist das Prinzip der Politik, die von dieser Regierung betrieben wird“, kritisierte der HDP-Abgeordnete Rüştü Tiryaki. Seine Rede wurde immer wieder von der Menge unterbrochen, die skandierte: „Die Repression wird uns nicht abschrecken“.

„Sie taumeln ihrem Ende entgegen“

Ibrahim Akın, der Ko-Sprecher der YSP (Grüne Linkspartei) ist, unter deren Dach die HDP zu der Wahl antritt, sieht in der Festnahmewelle ein „deutliches Zeichen der Nervosität“ beim amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und Konsorten. „Sie taumeln ihrem Ende entgegen. Sie wissen, dass ihr System am Abend des 14. Mai auf den Müllhaufen der Geschichte katapultiert werden wird und holen zum letzten Schlag aus“, sagte Akın. Der Politiker bezeichnete die Festnahmen als „Wahlkampf-Sabotage” gegen die YSP und HDP. Dem AKP-Chef Erdoğan attestierte er eine „chronische Hilfslosigkeit“, weil dieser ins Zentrum seines Wahlkampfs das „Ausschalten“ von Oppositionellen lege, statt sich auf Themen zu fokussieren.

Wir bleiben widerstandsfähig - trotz allem

„Doch trotz der Bemühungen dieser Regierung, uns einzuschüchtern, zum Schweigen zu bringen, zu spalten, auszugrenzen und zu kriminalisieren, bleiben wir widerstandsfähig“, fuhr Akın fort. Die bevorstehenden Wahlen seien eine Schicksalswahl zwischen Autokratie und Demokratie und man habe den Völkern der Türkei das Wort gegeben, mit einem Sieg das Ende von Erdoğan und seinem Ein-Mann-Regime einzuläuten. „Wir werden unser Versprechen halten. Festnahmen und Operationen können uns nicht davon abhalten, den Weg zum Frieden und Demokratisierung zu ebnen. Sie werden verlieren und Rechenschaft ablegen für ihre Verbrechen.“

Journalist und Aktivist festgenommen

Die Kundgebung löste sich unter Beifall und der Parole „Kämpfend werden wir gewinnen“ auf, die Menschen wurden jedoch nur gruppenweise von der Polizei aus dem Kessel gelassen. Einige Polizisten beschimpften und bedrängten mehrere Personen, die den Kundgebungsplatz verließen. Der Journalist Tümen Anlı, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der HDP, wurde aufgrund von Protesten gegen die Beleidigungen der Polizei festgenommen. Auch der Aktivist Serhat Eren, Mitglied der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (ESP), ist in Gewahrsam genommen worden. In seinem Fall gingen die Beamten besonders brutal vor. Zur Begründung der Festnahmen wurden keine Angaben gemacht.