„Ein Meilenstein im Kampf für Pressefreiheit in der Türkei“

In Amed hat der Prozess gegen 18 Mitarbeiter:innen kurdischer Medien begonnen. Beobachter:innen bewerten das Verfahren als eindeutig politisch motiviert, Beweise für tatsächliche Straftaten werden in der Anklage nicht angeführt.

In Amed (tr. Diyarbakir) hat der erste Verhandlungstag gegen 18 kurdische Journalist:innen stattgefunden. Den Angeklagten, von denen sich 15 seit Juni vergangenen Jahres in Untersuchungshaft befinden, wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vorgeworfen. Der Prozess vor der vierten Kammer des Strafgerichts Diyarbakir wurde von Vertreter:innen diverser Journalistenvereinigungen aus Nordkurdistan und der Türkei sowie vom Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) beobachtet. Ebenfalls dabei waren Jurist:innen der Amsterdam Law Clinics, der Anwaltskammer Amed und des ÖHD, sowie Mitglieder des Menschenrechtsvereins IHD und Parlamentsabgeordnete der YSP und CHP.

Eindeutig politisch motiviertes Verfahren“

Die Prozessbeobachter:innen gaben vor dem Gerichtsgebäude einzelne Erklärungen ab, in denen das Verfahren als eindeutig politisch motiviert eingestuft wurde. Veysel Ok, Direktor der Media and Law Studies Association (MLSA), sagte, dass die Journalist:innen inhaftiert seien, weil sie in ihrer Berichterstattung die kurdische Frage und die staatliche Gewalt thematisiert hätten. Der türkische Publizist Cengiz Çandar, der im Mai auf der Liste der Grünen Linkspartei (YSP) zum Parlamentsabgeordneten gewählt wurde, bezeichnete den Prozess als schändlichen Vorfall in der Rechtsgeschichte des Landes und sagte: „Diese Verhandlung ist ein Meilenstein im Kampf für Pressefreiheit in der Türkei.“

Aussagen anonymer Zeugen als Beweismittel

In den Gerichtssaal wurde nur eine begrenzte Anzahl Personen gelassen, die Angeklagten wurden mit Beifall begrüßt. Fünf angeklagte Journalisten hatten am ersten Verhandlungstag die Möglichkeit, sich nach über einem Jahr Untersuchungshaft erstmals zu den Vorwürfen zu äußern. Die Anklageschrift umfasst über 700 Seiten und beruft sich auf die vermeintliche Zugehörigkeit der Angeklagten im Medienkomitee der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK). Die Angeklagten werden beschuldigt, mit ihrer Berichterstattung „PKK-Propaganda“ betrieben, die Öffentlichkeit manipuliert und TV-Programme zugunsten von Abdullah Öcalan produziert zu haben. Laut Anklage sollen sie Anweisungen der PKK-Führungsebene weitergeleitet und „Terroristen mittels Nachrichtenbeiträgen und TV-Programmen über Operationen und Aktivitäten der Luftwaffe“ informiert haben. Die Staatsanwaltschaft fordert für die Angeklagten ein Strafmaß von sieben Jahren und sechs Monaten.

Beweise für tatsächliche Straftaten werden in der Anklage nicht aufgeführt. Wie in politischen Verfahren in der Türkei üblich, werden als Beweismittel angebliche Aussagen anonymer Zeugenpersonen genutzt. Diese Aussagen wurden sechs Monate nach der Verhaftung der Angeklagten aufgenommen. Für die Anklageschrift brauchte die Staatsanwaltschaft ganze zehn Monate.

Der Journalismus wird angeklagt“

Serdar Altan, Ko-Vorsitzender des Journalistenvereins Dicle-Firat (DFG), erklärte auf Kurdisch: „Wir sind seit 13 Monaten inhaftiert und wissen immer noch nicht warum.“ Die Anklage sei nicht unabhängig von der herrschenden politischen Atmosphäre und stehe im Zusammenhang mit der ungelösten kurdischen Frage: „Aus diesem Grund sollen kurdische Journalistinnen und Journalisten mundtot gemacht werden. Es ist der Journalismus als solcher, der hier angeklagt ist. Der Journalismus soll zerschlagen und wirkungslos gemacht werden. In einem Land, in dem Kurden nicht akzeptiert werden, werden auch kurdische Journalisten nicht akzeptiert.“

Wir haben uns nicht den Mainstream-Medien angeschlossen“

Altan ging in seiner Erklärung auf die Geschichte kurdischer Medien und die blutige Unterdrückung seit den 1990er Jahren ein, die von Bombenanschlägen auf Zeitungsredaktionen über gezielte Morde an Journalisten und eine endlose Liste verbotener Publikationen bis zu den jüngsten Massenverhaftungen reicht. Die AKP habe in ihrer Regierungszeit eine linientreue Medienwelt geschaffen und versuche, alle alternativen Stimmen zu unterdrücken. Die Journalist:innen, die in der Tradition der freien kurdischen Presse arbeiteten, seien der „Garant für Frieden und Demokratie“ in der Türkei, so Altan: „Wir haben beim Journalismus keine Kompromisse gemacht und uns nicht den Mainstream-Medien angeschlossen. Wir haben uns auf die Seite der arbeitenden Bevölkerung gestellt und waren die Stimme der Unterdrückten. Das ist natürlich nicht einfach. Wir haben einen Preis dafür gezahlt und zahlen weiterhin.“

Die Verhandlung wird am Mittwochmorgen fortgesetzt.

Die Angeklagten: Redakteure, Moderatorinnen, Kameraleute

Bei den inhaftierten Angeklagten handelt es sich neben Serdar Altan (Ko-Vorsitzender der Journalistenvereinigung DFG) um Aziz Oruç (Redakteur der Nachrichtenagentur Mezopotamya), Mehmet Ali Ertaş und Zeynel Abidin Bulut (Redakteure der kurdischsprachigen Zeitung Xwebûn), Ömer Çelik (Moderator und ehemaliger MA-Redakteur), Neşe Toprak und Elif Üngür (Moderatorinnen), die Kameraleute Mazlum Doğan Güler, Ibrahim Koyuncu, Abdurrahman Öncü, Suat Doğuhan, Ramazan Geciken, Lezgin Akdeniz und Mehmet Şahin sowie Remziye Temel, Buchhalterin von Piya Production. Die Angeklagten Esmer Tunç, Ibrahim Bayram und Mehmet Yalçın sind nicht in Haft.

Foto: MA