Prozess in Amed: „Eine Zäsur für den Journalismus in der Türkei“

Innerhalb eines Jahres sind in der Türkei 35 kurdische Medienschaffende verhaftet worden. 18 von ihnen stehen heute in Amed vor Gericht. Rechtsanwalt Resul Temur sieht in dem Verfahren eine Zäsur für den Journalismus im gesamten Land.

In der Türkei sind im vergangenen Jahr insgesamt 35 Mitarbeiter:innen kurdischer Medien in vier verschiedenen Strafverfahren verhaftet worden. Heute beginnt in Amed (tr. Diyarbakir) der Prozess gegen 18 kurdische Medienschaffende, 15 von ihnen sind seit Juni 2022 in Untersuchungshaft. Die Angeklagten werden beschuldigt, mit ihrer Berichterstattung „PKK-Propaganda“ betrieben, die Öffentlichkeit manipuliert und TV-Programme zugunsten von Abdullah Öcalan produziert zu haben. Laut Anklage sollen sie Anweisungen der PKK-Führungsebene weitergeleitet und „Terroristen mittels Nachrichtenbeiträgen und TV-Programmen über Operationen und Aktivitäten der Luftwaffe“ informiert haben. Die Staatsanwaltschaft fordert für die Angeklagten ein Strafmaß von sieben Jahren und sechs Monaten.

Redakteure, Moderatorinnen, Kameraleute

Bei den inhaftierten Angeklagten handelt es sich um Serdar Altan (Ko-Vorsitzender der Journalistenvereinigung DFG), Aziz Oruç (Redakteur der Nachrichtenagentur Mezopotamya), Mehmet Ali Ertaş und Zeynel Abidin Bulut (Redakteure der kurdischsprachigen Zeitung Xwebûn), Ömer Çelik (Moderator und ehemaliger MA-Redakteur), Neşe Toprak und Elif Üngür (Moderatorinnen), die Kameraleute Mazlum Doğan Güler, Ibrahim Koyuncu, Abdurrahman Öncü, Suat Doğuhan, Ramazan Geciken, Lezgin Akdeniz und Mehmet Şahin sowie Remziye Temel, Buchhalterin von Piya Production. Esmer Tunç, Ibrahim Bayram und Mehmet Yalçın sind nicht in Haft.

Zäsur für den Journalismus in der Türkei

Vertreten werden die Angeklagten unter anderem von Rechtsanwalt Resul Temur. Der Verteidiger sieht in dem Prozess eine Zäsur für den Journalismus in der Türkei. Betroffen von dieser Entwicklung seien nicht nur kurdische Medien, sondern generell alle, die in der Türkei journalistisch tätig sind, erklärte Temur gegenüber ANF und verwies auf die Verhaftung des bekannten türkischen Tele1-Chefredakteurs Merdan Yanardağ wegen „Terrorpropaganda“ im Zusammenhang mit Äußerungen zur Isolation von Abdullah Öcalan: „Die Verhaftung von Merdan Yanardağ, einem oppositionellen Journalisten, war eine Entscheidung, die im Zuge der Normalisierung der repressiven Politik gegenüber türkischen Medienschaffenden getroffen wurde. Kurdische Journalistinnen und Journalisten werden aufgrund ihrer Berichterstattung, ihrer Sprache und ihrer redaktionellen Entscheidungen ständig festgenommen und verhaftet. So wird beispielsweise die Tatsache, dass sie über das Thema Isolation berichten, in vielen Fällen direkt als Vorwurf gegen sie vorgebracht. Hätte es einen ernsthaften Reflex darauf gegeben, wäre die Kriminalisierung derartiger Äußerungen wahrscheinlich nicht normal geworden. Deshalb ist es sehr wichtig, dem Prozess gegen die kurdischen Medienschaffenden am 11. Juli Aufmerksamkeit zu schenken und sie zu unterstützen."

Alternative Berichterstattung soll verhindert werden

Mit der Repression gegen kurdische Medien werde versucht, eine alternative Berichterstattung zu der vereinheitlichten Medienwelt in der Türkei zu verhindern, meint Temur. Die kurdischen Medien hätten sich dieser Gleichschaltung widersetzt: „Aufgrund dieses Widerstands musste die Regierung die kurdische Presse im letzten Jahr unterdrücken, um einen bequemeren Handlungsspielraum zu finden und manipulative Diskurse zu entwickeln.“

Vorgegebene Bewertung statt Beweismittel

Dass der Hauptzweck der Verhaftungen darin besteht, die kurdische Agenda zu eliminieren, um die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren, sieht der Rechtsanwalt auch durch die dünne Aktenlage bestätigt: „Das Hauptziel ist nicht die Durchführung einer strafrechtlichen Untersuchung. Aus diesem Grund gibt es keine Bemühungen oder Bedenken, Beweise für ein Verbrechen zu verfolgen oder tatsächlich Beweise zu erhalten. Hier zeigt sich, dass die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Gerichte und sogar die höheren Instanzen gleichgeschaltet sind. Da sie als Ganzes handeln und jeder von ihnen weiß, dass die übergeordnete Behörde sie nicht beaufsichtigen wird, können sie eine gemeinsame Interpretation direkt in die Akten als Beweis einbringen. Sie handeln nur auf der Grundlage einer Bewertung."

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