Der Präsident von PEN International, Burhan Sönmez, hat die Ermordung der kurdischen Journalist:innen Nazım Daştan und Cihan Bilgin durch einen türkischen Drohnenangriff in Nordostsyrien als unakzeptables Verbrechen verurteilt. „Die Ermordung von Cihan Bilgin und Nazım Daştan bei der Verfolgung von Nachrichten zielt einerseits auf die Pressefreiheit und zeigt andererseits die Grenzenlosigkeit der Angriffe gegen die kurdische Gemeinschaft in Rojava. Wir alle kennen das Sprichwort, dass im Krieg zuerst die Wahrheit stirbt. Um die Wahrheit zu vertuschen, werden Journalistinnen und Journalisten, also diejenigen, die Nachrichten wiedergeben, zur Zielscheibe. Diese Situation ist überall auf der Welt zu beobachten und im Nahen Osten leider noch schmerzhafter“, erklärte Sönmez gegenüber ANF.
Cihan Bilgin und Nazım Daştan stammten aus Nordkurdistan und wurden von der türkischen Justiz wegen ihrer journalistischen Tätigkeit verfolgt. Beide arbeiteten seit vielen Jahren für kurdische Medien und berichteten zuletzt von der Front am Euphrat über die Angriffe der türkischen Armee und der Dschihadistenmiliz SNA gegen die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien. Die Journalist:innen wurden am 19. Dezember 2024 in der Nähe des umkämpften Tişrîn-Staudamms durch einen gezielten Drohnenangriff auf ihr Auto vom türkischen Staat getötet.
„Die kurdische Frage wird nicht ausreichend anerkannt“
Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft spiele eine große Rolle bei den Angriffen auf die kurdische Gesellschaft und Medienschaffende, sagte Burhan Sönmez: „Wenn die internationale Gemeinschaft schweigt, können die lokalen Kräfte, d.h. Regierungen oder Organisationen, rücksichtsloser handeln. Denn sie spüren keinen Druck und zögern nicht, wenn sie Anschläge planen. Es ist eine Tatsache, dass die kurdische Frage auf internationalen Plattformen nicht ausreichend anerkannt wird. Es ist nicht schwer zu erraten, dass es dafür politische Gründe gibt. Wenn es um die politischen und finanziellen Interessen der Großmächte geht, werden die Kurdinnen und Kurden leicht geopfert und ausrangiert. Daran hat sich auch in der aktuellen Phase einer hundertjährigen Geschichte nicht viel geändert. Doch was die Kurden wollen und brauchen, unterscheidet sich nicht von dem, was allen anderen zusteht. Sie wollen über ihre eigene Zukunft mitbestimmen und ihre Kultur schützen. Selbst dieses grundlegende Menschenrecht ist für sie zu viel.“
Burhan Sönmez ist Schriftsteller und Menschenrechtsanwalt und seit 2021 Präsident von PEN International
„Morde an Journalisten sind eine universelle Tendenz“
Sönmez wies darauf hin, dass Angriffe auf Journalist:innen nicht örtlich beschränkt sind, sondern eine universelle Dimension haben: „Vom Wikileaks-Fall bis zu den Serienmorden an Journalisten in Mexiko oder von der Ermordung der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia durch einen Bombenanschlag bis zur Verfolgung von Journalisten in Italien durch Regierungsbeamte, hat jedes Problem sowohl einen lokalen Charakter als auch eine universelle Tendenz. Diese Tendenz ist auf die wachsende Zahl von Machthabern zurückzuführen, die vor nichts zurückschrecken, um die Gesellschaft ungehindert zu beherrschen. Sie wollen, dass die Presse das Sprachrohr der Herrschenden ist. Der Öffentlichkeit soll die Wahrheit vorenthalten werden. Sie soll nur so viel informiert werden, wie die Behörden zulassen.“
PEN International setzt sich für den Schutz von Journalist:innen ein
PEN International setze sich weltweit für den Schutz von Journalist:innen ein, sagte Sönmez: „PEN International führt einen Kampf mit vierzigtausend Mitgliedern in mehr als hundert Ländern. Unsere Priorität ist es, für die Freiheit der Literatur und von Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu arbeiten. Die Angriffe auf die Presse haben jedoch so stark zugenommen, dass wir uns mit Journalistenorganisationen, die sich mit diesem Thema befassen, solidarisch zeigen. Allein in Palästina wurden im letzten Jahr mehr Journalisten getötet als in der ganzen Welt zusammen. Wir ergreifen verschiedene Initiativen zum Schutz von Journalisten, von der Organisation von Solidaritätsnetzwerken bis zur Ausübung von diplomatischem Druck auf Regierungen. Wir mobilisieren Institutionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union und tragen zu ihrer Arbeit zur Pressefreiheit und den Problemen von Journalistinnen und Journalisten bei.“
Appelle reichen nicht aus
Burhan Sönmez sagte, dass die Tötung von Journalist:innen vielerorts als gewöhnliche staatliche Handlung angesehen werde. „Es gibt einen staatlichen Diskurs, der als ‚nationale Sicherheit‘ produziert wird. Dieses Konzept, von dem nicht erklärt wird, wozu es dient, wird als heiliger angesehen als alles andere, und Journalistinnen und Journalisten werden zu diesem Zweck offen ins Visier genommen. Es reicht nicht aus, nur Aufrufe zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten zu machen. Die Hauptsache ist, gemeinsam mit anderen Schwesterinstitutionen die Arbeit an diesem Thema zu organisieren. Das tun wir, aber alle müssen sich mehr dafür einsetzen. Als ob die Welt in ein neues dunkles Zeitalter eingetreten wäre, machen sich Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit über die Zukunft breit. Dadurch entsteht ein Umfeld, das sich negativ auf die Menschen auswirkt. Für die Zukunft der Menschheit ist es von entscheidender Bedeutung, dass das öffentliche Bewusstsein wächst und die Gesellschaft ihre Zukunft selbst in die Hand nimmt“, so der Präsident von PEN International.