Anklage fordert 22,5 Jahre Gefängnis für Mehmet Şah Oruç

Wegen seiner Arbeit als Journalist in der Tradition der freien kurdischen Presse muss sich Mehmet Şah Oruç demnächst vor einem türkischen Gericht verantworten. Die Anklage fordert mehr als 22 Jahre Gefängnis für den MA-Korrespondenten.

Wegen seiner Arbeit als Journalist in der Tradition der freien kurdischen Presse muss sich Mehmet Şah Oruç demnächst vor einem türkischen Gericht verantworten. In der am Donnerstag von einer großen Strafkammer in der Provinz Bedlîs (tr. Bitlis) angenommenen Anklageschrift werden dem Korrespondenten der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) die Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Vereinigung und „Terrorpropaganda“ vorgeworfen. Oruç drohen bis zu mehr als 22 Jahre Gefängnis.

Mehmet Şah Oruç ist einer von vier kurdischen Medienschaffenden, die Ende April unter „Terror“-Vorwürfen verhaftet worden waren. Dem vorausgegangen war eine landesweite Operation gegen die kurdische Opposition und Zivilgesellschaft, in deren Verlauf rund 200 Menschen festgenommen wurden, darunter ranghohe Funktionäre und Mitglieder der Grünen Linkspartei (YSP) und der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Presseleute, Anwältinnen und Anwälte sowie Aktive aus Kunst und Kultur. Mehr als sechzig Personen wurden in der Folge wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK verhaftet und damit nur wenige Wochen vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl aus dem Verkehr gezogen.

Die Leitung der Operation lag formell bei der Oberstaatsanwaltschaft Diyarbakır (ku. Amed), wurde jedoch vom türkischen Innenministerium angeordnet. Im Fall von Oruç war die Ermittlungsakte im Juni wegen örtlicher Nichtzuständigkeit an eine Staatsanwaltschaft in Bedlîs abgegeben worden. Diese wirft dem Journalisten auf Grundlage der Aussagen von Ümit Akbıyık – ein früherer HDP-Aktivist, der sich inzwischen als Kronzeuge für die türkische Antiterrorpolizei betätigt und bereits in diversen Prozessen gegen Oppositionelle aufgetreten ist – vor, „auf Anweisung des Pressekomitees der PKK/KCK“ zu arbeiten. Die ersten fünf Seiten der insgesamt 63-seitigen Anklageschrift widmet die Behörde daher zunächst ihren Ausführungen zur Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), dem Dachverband der kurdischen Bewegung, dem auch die PKK angehört. Der Rest des Papiers enthält 35 Berichte von Mehmet Şah Oruç, die von der Staatsanwaltschaft inkriminiert werden. Sie würden „eindeutige Parallelen zur Ideologie der bewaffneten Terrororganisation PKK/KCK aufweisen“, heißt es unter anderem. Zudem würden sie deren Ziele „symbolisch wie praktisch“ legitimieren.

Konkret geht es in den kriminalisierten Meldungen von Oruç um die Isolationshaft Abdullah Öcalans auf der Gefängnisinsel Imrali, Initiativen wie Hungerstreiks von politischen Gefangenen für ein Ende der Abschottung des kurdischen Vordenkers und andere Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates an Kurdinnen und Kurden. Auch werden Interviews beanstandet, die Oruç mit kurdischen Parlamentsabgeordneten führte, etwa mit der DBP-Vorsitzenden Saliha Aydeniz, sowie Texte über die Auswirkungen von militärischen Ausgangssperren für die Zivilbevölkerung.

Besonders gestört fühlt sich die Staatsanwaltschaft jedoch an der Berichterstattung über russische und syrische Luftangriffe im Februar 2020 auf einen Konvoi nahe Idlib, bei denen 34 türkische Soldaten getötet worden waren, sowie einem Interview mit Ali Rıza Arslan. Der Kurde hatte sechs Jahre dafür gekämpft, seinen Sohn Hakan, der 2016 während der Belagerung des Altstadtbezirks Sûr in Amed ums Leben kam, würdevoll zu beerdigen. Am Ende wurden ihm die sterblichen Überreste des Kindes in einer Tüte ausgehändigt.

Ein Termin für den Prozessauftakt gegen Oruç wurde derweil noch nicht anberaumt.