Im November 2015 begann mit der Ausrufung einer Ausgangssperre die Zerstörung von Sûr. In der Altstadt von Amed (tr. Diyarbakır), die eine fünftausendjährige Geschichte hat und unter dem Schutz der UNESCO steht, war kurz zuvor die Selbstverwaltung ausgerufen worden. Über drei Monate leisteten die Menschen im Viertel Widerstand gegen ein barbarisches Angriffskonzept des türkischen Staates. Die Zerstörung setzt sich bis heute fort, zehntausende Menschen sind enteignet und vertrieben worden.
Hakan Arslan war einer von vielen Menschen, die sich als Zivile Verteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Sivîl) der Militärbelagerung von Sûr entgegenstellten. Im Januar 2016 – unklar bleibt bis heute, ob es der 22. oder 23. war – kam er im Alter von 23 Jahren ums Leben. Seine Freunde beerdigten ihn im Viertel Hasirli, zwischen der armenisch-katholischen Kirche und der kleinen Moschee. Genau fünf Jahre später stießen Arbeiter bei Restaurierungsarbeiten an jener Stelle auf menschliche Knochen, die eingewickelt waren in ein Tuch. Schnell wurde die Vermutung geäußert, dass es sich dabei um die sterblichen Überreste von Hakan Arslan handeln könnte.
Hakan Arslan stammte gebürtig aus Erzîrom (Erzurum). Den Eltern des Kurden hatte man kurz nach seinem Tod gesagt, wo die Leiche begraben worden war. Nachdem die Militärbelagerung von Sûr beendet wurde, wandte sich die Familie an die Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakır und das türkische Innenministerium. Sie wollte erwirken, dass die Leiche des Sohnes geborgen wird, um ihn der islamischen Tradition entsprechend zu beerdigen. Für sich selbst wollten sie damit ein Ort der Trauer und Erinnerung schaffen. Doch sie hatten keinen Erfolg. Kein einziger der dutzendfach gestellten Anträge wurde positiv beschieden. In den meisten Fällen erfolgte noch nicht einmal eine Reaktion auf das Anliegen.
Nach dem Knochenfund im Februar vergangenen Jahres wandten sich die Eltern von Hakan Arslan erneut an die Behörden in Amed. Sie gaben DNA-Proben ab, den Abgleich aller Profile führte das Institut für Rechtsmedizin in Istanbul durch. Seit November 2021 stand das Ergebnis fest: Der Tote aus Sûr ist mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit Hakan Arslan. Trotzdem musste die Familie noch über neun Monate auf die Herausgabe des Leichnams warten – eine altbewährte Taktik der psychologischen Kriegsführung des türkischen Staates. Vergangene Woche kam der langersehnte Anruf. Die Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakır bestellte Ali Rıza Arslan in die Behörde, um die Knochen seines Sohnes auszuhändigen. Seit Donnerstag wartete der Mann dort bereits, doch die Übergabe erfolgte erst an diesem Montag. Er hat die Knochen seines Sohnes bekommen. Sie wurden ihm in einer Tüte übergeben. Nun soll Hakan Arslan in seiner Geburtsstadt Erzîrom nochmals beigesetzt werden.