Seit mehr als 21 Monaten gibt es kein Lebenszeichen vom auf der Gefängnisinsel Imrali isolierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan. Sibel Yığıtalp ist Expertin für die Situation in den Gefängnissen. Als Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) war sie Mitglied in der Gefängniskommission und brachte in den Jahren 2015–2018 die Rechtsverletzungen in den Haftanstalten immer wieder ins Parlament ein.
„Über 100 Personen werden wegen willkürlichen Disziplinarstrafen nicht entlassen“
Im ANF-Gespräch beschreibt die ehemalige HDP-Abgeordnete die aktuelle Situation in den Gefängnissen als neue Qualität der Folter. „Während beispielsweise diejenigen, die eine lebenslange Freiheitsstrafe erhalten und 30 Jahre im Gefängnis verbracht haben, freigelassen werden müssten, werden mehr als 100 Personen aufgrund von willkürlich verhängten Disziplinarstrafen nicht entlassen, obwohl sie 30 Jahre verbüßt haben“, so Yığıtalp. „Darüber hinaus werden 618 kranke Gefangene, die kurz vor dem Tod stehen, nicht entlassen, obwohl sie so schnell wie möglich entlassen werden sollten. Ich spreche von 618 Personen, aber ich schätze, die reale Zahl ist höher, denn der Zugang zur Gesundheitsversorgung, die Art der Behandlung und die Bedingungen für einen Krankenhausaufenthalt sind sehr problematisch. Es werden Gummizellen, wie im Fall Garibe Gezer, zur Isolation verwendet. Obwohl Videomaterial über die Folterungen, denen Garibe Gezer im Gefängnis ausgesetzt war, aufgetaucht ist, hat es keine gerichtliche Untersuchung gegeben. Innerhalb eines Jahres starben 65 Menschen auf verdächtige Weise im Gefängnis. Einige dieser Todesfälle werden auf Krankheiten zurückgeführt, andere auf Selbstmord. Wir stehen jedoch vor einer Situation, in der alle Arten von Sicherheitsmaßnahmen auf höchster Ebene innerhalb und außerhalb des Gefängnisses ergriffen werden.“
„Quelle der Isolation ist Imrali“
Sibel Yiğitalp unterstreicht, dass die schweren Folterungen in den Gefängnissen ihren Ursprung in der Praxis auf Imrali haben. Die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan habe auf die Gefängnisse in der Türkei übergegriffen. „Solange die Isolation von Herrn Öcalan anhält, werden die schwere Gewalt und die Rechtsverletzungen in den Gefängnissen weitergehen", folgert Yiğitalp.
„Die Isolation ist eine Kriegsbotschaft“
Unter Hinweis auf die 21-monatige Totalisolation auf Imrali sagt die ehemalige Abgeordnete: „Es ist möglich, die Fortsetzung der Folter, der Gewalt und der Isolierung von Herrn Öcalan als eine Botschaft zu verstehen, dass der Krieg eskalieren und die Invasionsangriffe in Südkurdistan und Rojava fortgesetzt werden.“
„Der türkische Staat agiert nicht allein“
Yiğitalp hebt den internationalen Charakter des Isolationssystems auf Imrali hervor und fährt fort: „Die Türkei hat weder den Mut noch die Kraft, dies allein zu tun. Der türkische Staat weiß sehr wohl, dass Herr Öcalan ein wichtiger Akteur ist, der von Millionen von Menschen als Repräsentant, Anführer und Hauptverhandlungsvertreter akzeptiert wird und den Millionen von Menschen mit ihrer Unterschrift vor dem türkischen Parlament als solchen benannt haben. Es ist inakzeptabel, ihn unter solch strengen Isolationsbedingungen gefangen zu halten.“
„Das CPT muss eine Erklärung abgegeben“
Sibel Yiğitalp kritisierte, dass das CPT trotz eines Besuchs auf Imrali keine Erklärung darüber abgibt, ob es Herrn Öcalan getroffen hat oder nicht. Sie fordert, das CPT solle sein Schweigen brechen und eine Erklärung abgeben, denn Millionen von Menschen warteten in größter Sorge.