Der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan befindet sich seit fast 24 Jahren in Isolationshaft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Seit 21 Monaten gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm, die Isolation ist total. Öcalan ist keine Einzelperson, sondern der Repräsentant von Millionen von Kurd:innen und ein Denker, der unzählige Menschen weltweit bewegt. Die Isolation Öcalans stellt also nicht nur einen unsäglichen Rechtsbruch gegen eine Einzelperson, sondern einen Angriff auf die Freiheitsbestrebungen des kurdischen Volkes und die basisdemokratischen und frauenbefreienden Ideen und Konzepte des kurdischen Vordenkers dar. Im ANF-Interview äußert sich Mahmut Şakar, Ko-Vorsitzender des Vereins für Demokratie und Internationales Recht (MAF-DAD), zu der Situation.
Seit 21 Monaten ist Abdullah Öcalan vollständig isoliert und es dringt kein Lebenszeichen von ihm nach außen. Wie muss diese Form der Isolationsfolter im Hinblick auf das türkische Recht und die internationale Gesetzgebung bewertet werden?
Zunächst einmal müssen zwei Dinge hervorgehoben werden: Die von Ihnen erwähnte Isolation ist eigentlich ein Prozess, der bereits mit der Gründung und dem Bau von Imrali begann. Mit anderen Worten, es handelt sich um kein sehr neues Phänomen, aber es hat einen sich zunehmend verschärfenden und vertiefenden Charakter. Daher ist es notwendig, das Problem von dem Tag an zu betrachten, an dem Herr Öcalan nach Imrali gebracht wurde. Imrali wurde speziell für Herrn Öcalan eingerichtet und in eine Isolationsinsel umgewandelt. Mit anderen Worten, das Heute muss vor dem Hintergrund der vergangenen 24 Jahre betrachtet werden. Wir sind mit der Realität einer extremen, sich vertiefenden Isolation konfrontiert. Die Situation, dass wir Herrn Öcalan nicht besuchen können, dass er seine Anwältinnen und Anwälte nicht sehen kann, begann eigentlich schon vorher. Abgesehen von einigen Treffen im Jahr 2019 geht die Isolation von seinem Rechtsbeistand jetzt bereits ins zwölfte Jahr. Die Isolation beschränkt sich nicht auf Familien- und Anwaltsbesuche. Das sind die entscheidenden Punkte, aber wenn wir auch den fehlenden Zugang zu Telefongesprächen, schriftlicher Korrespondenz, Zeitungen, Büchern usw. in Betracht ziehen und die Frage stellen, ob er sein Recht auf Verteidigung unter diesen Bedingungen ausüben kann, dann sehen wir, dass es sich um eine Totalisolation handelt. In der internationalen Rechtsliteratur wird seit kurzem der Begriff „Incommunicado“, d.h. absolute Nichtkommunikation, für eine solche Situation verwendet. In UN-Quellen wird dieser Begriff auch für Fälle verwendet, in denen Menschen für längere Zeit ohne Kontakt zur Außenwelt verschwinden. In der Tat haben wir es mit einer Art von Ausschaltung der Kommunikation zu tun, wie dies in den Fällen des Verschwindenlassens geschieht. Wir haben keinerlei Informationen. Wir wissen nicht, ob er dort ist oder nicht. Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie es um seine Gesundheit und sein Leben bestellt ist. Zusätzlich zum fehlenden Kontakt werden Briefe an ihn nicht weitergeleitet, und wenn sie beantwortet werden, werden die Antworten nicht zugestellt. Es gibt auch keine andere Möglichkeit der Kommunikation. Wir sind also mit einer äußerst ernsten Situation konfrontiert. Es wurde noch kein Gesetz erfunden, um eine solche Lage zu beschreiben.
Wenn wir vom Recht im üblichen Sinne sprechen, so gibt es in der juristischen Literatur und im internationalen Recht keine Rechtsnormen, die ein solches Vorgehen ermöglichen. In dieser Hinsicht sind alle internationalen Konventionen, insbesondere die UN-Konvention über Gefangene, beginnend mit den als Mandela-Regeln bekannten Vorschriften, eigentlich gegen die Isolation gerichtet. Es gibt Hunderte von Konventionen, die besagen, dass man als Gefangener nicht aller Rechte beraubt werden darf, sondern im Gegenteil alle Chancen und Möglichkeiten nutzen können sollte, die es außerhalb des Gefängnisses gibt.
Was die Türkei betrifft, so gibt es im türkischen Recht keine solche Regelung. In der Türkei gibt es keine gesetzliche Regelung, die einen Anwalt daran hindern kann, seinen Mandanten aufzusuchen. Nach dem 15. Juli [2016] wurde der Ausnahmezustand verhängt. Es wurden Notstandsverordnungen erlassen. Diese wurden in Gesetze umgewandelt. Es gibt bestimmte Bedingungen, unter denen Anwaltsbesuche teilweise und individuell verhindert werden können. Auch diese Bedingungen sind auf Imrali nicht erfüllt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass internationales Recht und nationales Recht das, was geschieht, nicht legitimieren können. Die Situation lässt sich nicht mit dem Gesetz erklären.
Das letzte, was ich in juristischer Hinsicht dazu sagen möchte, ist, dass die Situation von Imrali auf Willkür beruht. Seit 24 Jahren hat es die Regierung nicht für nötig gehalten, irgendetwas, was auf Imrali geschieht, mit einem Gesetz zu begründen, ja nicht einmal die Notwendigkeit verspürt, irgendeine juristische Legitimation vorzulegen. Sie agiert ohne jede Bedenken. Das ist einer der Punkte, die Imrali besonders machen. Was war zum Beispiel die Begründung, mit der fünf Jahre lang von 2011 bis Juli 2016 jeder Anwaltsbesuch und jeder Familienbesuch verboten wurde? Es handelte sich vor allem um das Wetter, also Vorwände, die dem gesunden Menschenverstand spotten. Mit anderen Worten, man hat uns diese bodenlose Begründung vorgesetzt, ohne sich für die Absurdität dessen zu interessieren, fünf Jahre zu behaupten, die Wetterbedingungen machten einen Besuch nicht möglich oder das Schiff sei außer Betrieb.
Wann haben sie dann eine Rechtfertigung vorgelegt? Nach dem 15. Juli, nach der Aufhebung des Ausnahmezustands und der Ausweitung der Imrali-Verordnungen auf die gesamte Türkei sahen sie sich tatsächlich veranlasst, eine Erklärung nicht nur für Imrali, sondern für alle Gefängnisse in der Türkei abzugeben. Deshalb wurden die Dekrete erlassen und in Gesetze umgewandelt. In dieser Hinsicht besteht kein Bedarf an einem Spezialgesetz für Imrali. Imrali bedarf keiner rechtlichen Legitimation, bedarf keiner juristischen Regelung, so begreift es das System. Was sich von 1999 bis heute ereignet hat, ist darauf zurückzuführen, dass auf Imrali ein mit Blick auf die politische und aktuelle Lage höchst willkürliches Vollzugsregime geschaffen wurde.
Wie ich bereits sagte, wurde nach dem Putsch vom 15. Juli 2016 ein Gesetz zur Einführung der Praxis von Imrali in allen Gefängnissen der Türkei erlassen. Man begann, die Besuche von Familienangehörigen und Anwälten aufgrund von Disziplinarstrafen zu verhindern. In dieser Hinsicht ist Imrali eigentlich ein rechtsfreier Raum, ein Raum, in dem das Gesetz keine Wirkung hat. Das war auch der Grund, warum wir das Gefängnis in der Vergangenheit mit Guantanamo verglichen haben. Guantanamo befindet sich im Einflussbereich der USA, aber außerhalb des amerikanischen Rechts. Auf Imrali wird derselbe Weg gegangen. Mit anderen Worten: Imrali befindet sich im Einflussbereich der Türkei, aber gleichzeitig außerhalb des geltenden Rechts in der Türkei. Nach dem 15. Juli hat die Türkei – wie gesagt – versucht, eine Erklärung für dieses Vorgehen abzugeben, aber nicht für die Kurdinnen und Kurden, nicht für Herrn Öcalan, nicht für Imrali, sondern weil die Regierung dieses System in der gesamten Türkei etablieren wollte. Der Versuch dieser Legitimation ergibt weder im Hinblick auf das internationale noch auf das nationale Recht Sinn.
Welche Haltung nehmen die Institutionen wie die Anwaltskammer und die Gefängnisaufsichtsbehörde in der Türkei und internationale Organisationen wie das Antifolterkomitee CPT, das Ministerkomitee des Europarats und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein?
In dieser Hinsicht können wir zweierlei Unterscheidung treffen. Zunächst in Hinsicht auf die Institutionen in der Türkei: Die Isolation von Herrn Öcalan und seinen Mitgefangenen auf Imrali blockiert nicht nur das Recht auf Verteidigung, sie beeinträchtigt jeden Lebensbereich. Dutzende von Grundrechten wie das Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung, das Recht auf Kommunikation, Familienbesuch usw. werden auf Imrali verletzt. Eines davon ist das Recht auf Verteidigung. Viele Institutionen in der Türkei, insbesondere Anwaltskammern, sind für die Kontrolle des Rechts auf Verteidigung und die Beseitigung von Verstößen gegen dieses Recht zuständig. Deshalb nennt man sie auch Anwaltsorganisationen. Mit Ausnahme einiger weniger Organisationen haben die Institutionen in der Türkei aber ihre Augen vor den Geschehnissen auf Imrali verschlossen. Sie betrachten das, was dort geschieht, als einen Bereich der Verantwortlichkeit des Staates. Sie schweigen deshalb, weil sie diese Frage nicht im Zusammenhang mit einer Verletzung der Grundrechte oder in Hinblick auf ihren eigenen Arbeitsbereich betrachten. Sie sehen es als Ausnahmefall an und handeln im Rahmen einer Verständigung. In der Logik dessen, was Barış Ünlü als „Vertrag des Türkentums“ bezeichnet, vermeiden sie jede Störung des Systems und stellen die Belange des Systems in den Mittelpunkt. Mit diesem Blickwinkel können sie diese Geschehnisse als Ausnahmebereich akzeptieren. Daher gibt es keinen grundsätzlichen Widerspruch. Alle Anträge der Anwält:innen von Herrn Öcalan, die ja ebenfalls Mitglieder der Anwaltskammern sind, auf Garantie des Rechts auf Verteidigung und von Besuchen, gingen auch an die Anwaltskammern. Diesen Anträgen wurde jedoch bis heute keine ernsthafte Unterstützung von Seiten der Anwaltskammern zuteil. Die Anwaltskammern sind also Teil dieser Rechtsverletzung, ob sie es wollen oder nicht.
Einige zivile Organisationen haben aus einer unterschiedlichen Herangehensweise ihre Rolle nicht wahrgenommen. Sie sahen es als einen Bereich der Staatsmacht, als einen Ausnahmebereich. Sie schwiegen zu dieser Frage, auch aufgrund ihres ideologischen Ballastes, den sie in Hinsicht auf die kurdische Frage mit sich tragen. Das bedeutet in gewisser Weise nichts anderes, als dass man dem Isolationssystem auf Imrali zustimmt. Als der Ausnahmezustand, von dem ich gerade gesprochen habe, in der gesamten Türkei zur Realität und zur Norm wurde, begannen die Beschwerden, aber man konnte es nicht mit Imrali in Verbindung bringen. Das derzeit in den Gefängnissen angewandte Modell hat sich auf die ganze Türkei verbreitet. Das Schweigen zum Imrali-System, weil man es als eine Ausnahme abtat, führte dazu, dass nicht verhindert werden konnte, dass es sich auf das ganze Land ausbreitet.
Was die internationalen Institutionen angeht, ist das ein wenig anders. Imrali wurde von Anfang an auf der Grundlage eines Konsens der internationalen Organisationen aufgebaut. Herr Öcalan wurde durch ein Komplott nach Imrali gebracht. Die Tatsache, dass er dorthin verschleppt wurde, ist an sich schon hochgradig problematisch. Es war keine Inhaftierung, keine Festnahme, es war eine Entführung. Er wurde entführt und mit der Unterstützung der internationalen Hegemonialmächte verschleppt. Die Tatsache, dass er nach Imrali gebracht wurde, ist an sich schon großes Unrecht. Imrali als rechtsfreier Raum ist also tatsächlich im Zuge der Verschleppung von Herrn Öcalan geschaffen worden. Wir bezeichnen diesen Vorgang daher als internationales Komplott. Imrali ist Teil, Ergebnis und Fortführung des internationalen Komplotts. Wenn wir es in diesem breiteren Kontext betrachten, ist es tatsächlich möglich, die Rolle der internationalen Institutionen zu begreifen. Damals haben diejenigen, die das internationale Komplott gebilligt und die Entführung von Herrn Öcalan trotz der Verletzung europäischen und internationalen Rechts unterstützt und dazu beigetragen haben, dem Bau von Imrali und dem Modell Imrali de facto zugestimmt. Das hat Herr Öcalan immer wieder betont. Bei den ersten Treffen mit ihm, an denen ich teilgenommen habe, berichtete er: „Als ich gerade angekommen war, kam eine Delegation des Europarats, prüfte diesen Ort und gab seine Zustimmung.“ Daher sollte dieses System auch als das Produkt eines internationalen Konsenses betrachtet werden. Sowohl das internationale Komplott selbst als auch das Imrali-System hätte von der Türkei nicht im Alleingang erdacht und verwirklicht werden können.
Das Komplott und die Installation des Imrali-System haben im Rahmen einer globalen Initiative mit internationaler Unterstützung stattgefunden. Aus diesem Grund gibt es auf internationaler Ebene auch keine tiefgreifende Kritik. Mit anderen Worten, es gibt keine Einwände gegen das seit 24 Jahren praktizierte Foltersystem von Imrali, da es als Prototyp, als Mikromodell des Umgangs mit der kurdischen Frage gebaut wurde. Europa und das globale System verfolgen dabei den folgenden Ansatz: Der Weg zum EGMR steht offen, und wir wurden auf das Komitee zur Verhinderung von Folter (CPT) des Europarats hingewiesen. Dies sei die einzige Institution, die sich mit diesem Thema befasse. Mit anderen Worten wurde uns gesagt, wenn es ein Problem gibt, haben wir bereits eine Organisation, die sich darum kümmert. Auf diese Weise sollte das Thema aus dem politischen Kontext herausgenommen werden. Dabei wurde so getan, so als ob es sich um eine ganz normale, alltägliche, singuläre Ungerechtigkeit handele und nicht um ein System, das auf einem internationalen Komplott beruht und eine politische Motivation verfolgt, zu der auch das internationale Vorgehen zur kurdischen Frage gehört. Man tat so, als ob die Rechtsverletzungen nur technische Angelegenheiten wären. So hat Europa dazu beigetragen, dass dieses System seit 24 Jahre besteht, indem von Zeit zu Zeit die Aufgabe an das Antifolgekomitee übertragen und das CPT zu unserem einzigen Ansprechpartner gemacht wurde. Die globalen Mächte und die von ihnen geschaffenen Institutionen haben keine systematische, qualifizierte und tiefgreifende Kritik an Imrali. Das CPT beschreibt die Situation als Isolation, meint aber, dass diese mit geringen Veränderungen überwunden werden könnte. Aber nicht einmal das ist zu erkennen.
Einer der wichtigsten Punkte des CPT betrifft den Kontakt zu Familienangehörigen und Anwält:innen. Aber Herr Öcalan konnte seit zwölf Jahren keinen Anwalt sehen und hat fast zwei Jahren keinen Angehörigen mehr gesprochen. Wir hören nicht einmal mehr etwas von ihm. Wenn das CPT oder internationale Kontrollstrukturen nicht in der Lage sind, seiner Familie, seinen Anwält:innen und der Öffentlichkeit mitzuteilen, ob Herr Öcalan am Leben ist oder nicht, müssen wir darüber diskutieren, ob das CPT überhaupt einen Wert oder eine Bedeutung hat. Wenn sie nicht einmal das tun können, können wir natürlich nicht sagen, dass wir eine Gesprächspartner vor uns haben.
Das größte Handicap der internationalen Mächte und Europas besteht darin, dass sie diese Frage als ein technisches, sekundäres Phänomen behandeln, unabhängig von dessen politischem Hintergrund. Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem die Entpolitisierung des Themas. Die Politik wird herausgenommen und es wird so getan, als wäre die Verschleppung von Herrn Öcalan nicht politisch, so als ob sie nicht Teil internationaler Abkommen mit der Türkei gewesen wäre, so als ob der Bau von Imrali nicht Teil einer politischen Vereinbarung wäre, und als ob es sich dabei nur um eine singuläre Rechtsverletzung handele. Aber nicht einmal in Bezug auf die Menschenrechte im Rahmen einer angeblich singulären Rechtsverletzung konnte etwas Wirksames unternommen werden.
Die zweite Dimension des Problems besteht darin, dass wir es mit einer Welt zu tun haben, die uns nicht einmal sagen kann, ob Herr Öcalan auf Imrali ist oder nicht. Es gibt keine Haltung irgendeiner Institution, die wir ernst nehmen und sagen können, dass diese sich wirklich interessiert, auch wenn es sich nur auf den Menschenrechtsbereich und nicht auf den politischen Bereich bezieht. Ich halte die Institutionen für unwirksam, aber der Grund für diese Unwirksamkeit ist, dass sie die Sache zu entpolitisieren versuchen. Unsere eigentlichen Gesprächspartner:innen befinden sich daher in den politischen Strukturen. Die Türkei ist Mitglied des Europarates, und der Europarat als Ganzes sollte in dieser Frage Stellung beziehen. Es geht nicht nur um das CPT, das ein ineffektiver, kleiner, bürokratischer Teil dessen ist. Wie ich schon sagte, indem das CPT in den Vordergrund gestellt und zu unserem Hauptgesprächspartner gemacht werden sollte, wird versucht, die politischen Ansätze und Ursachen herauszuhalten. Das ist ein sehr gerissener Ansatz und in diesem Rahmen sollte die Haltung der internationalen Institutionen eingeordnet werden.
Es gab Neuigkeiten über die Klage vor dem EGMR gegen die griechische Regierung. Können Sie uns etwas über die Entwicklungen im Zusammenhang mit den Prozessen zu Abdullah Öcalan in Europa berichten?
Das Verfahren in Athen beruht eigentlich auf einem Antrag aus dem Jahr 2019. Der EGMR hat es gerade eben auf seine Tagesordnung gesetzt. Als das Thema auf die Tagesordnung gesetzt wurde, wurde dies auch an die Öffentlichkeit weitergegeben. Die 24 Jahre, die Herr Öcalan auf Imrali verbracht hat, sollten auch als 24 Jahre des Kampfes für nationales und internationales Recht betrachtet werden. Es handelt sich um ein vielschichtiges, vielseitiges Phänomen. Seit 24 Jahren gibt es eine Praxis des Widerstands, eine aufrechte Haltung von Herrn Öcalan in dieser Situation. Darüber hinaus gibt es den sozialen Kampf draußen und es gibt einen juristischen Kampf, der von Anwält:innen geführt wird. Mit anderen Worten: Wenn wir den Imrali-Prozess in seiner Gesamtheit betrachten, können wir ihn nicht nur im Hinblick auf das von der Gegenseite, den Weltmächten und der Türkei, konstruierte Modell betrachten. Es muss gesagt werden, dass es Widerstand dagegen gibt. Ein Teil des Widerstands ist der juristische Kampf. Vom ersten Tag an gab es einen juristischen Kampf. Am 15. Februar 1999 wurde Herrn Öcalan nach Imrali gebracht, und am 16. Februar wurde ein Antrag beim EGMR gestellt, um seine Sicherheit und sein Recht auf Leben zu gewährleisten. Seitdem wurden bei zahlreichen Institutionen Anträge gestellt, insbesondere beim EGMR und in jüngster Zeit bei den rechtlichen Institutionen der Vereinten Nationen. Es wurde versucht, die Optionen des internationalen Rechts so weit wie möglich auszuschöpfen. So werden dem CPT seither regelmäßig Berichte übermittelt, zum Beispiel monatliche und vierteljährliche Berichte. Es wurden regelmäßige Sitzungen abgehalten. Der wichtigste gerichtliche Ansprechpartner ist der EGMR. Es handelt sich um den entscheidenden Rechtsmechanismus, dem auch die Türkei angehört. Deshalb haben die Anwält:innen von Herrn Öcalan von Anfang an Dutzende von Materialzusammenfassungen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschickt. Einige von ihnen sind der Öffentlichkeit bereits bekannt. 2003 und 2005 entschied der EGMR, dass Öcalan kein faires Verfahren erhalten hat. Im Jahr 2014 wurde entschieden, dass es sich bei einer verschärften lebenslangen Freiheitsstrafe um Folter handelt. Es wurden einige positive völkerrechtliche Entscheidungen getroffen. Inwieweit diese umgesetzt wurden, ist eine andere Diskussion, aber es gibt solche Punkte, die vor den EGMR gebracht wurden, und es gibt auch welche, die gewonnen wurden. Abgesehen davon hat das wichtigste Verfahren, das derzeit in Bearbeitung ist, teilweise Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden. 2011 wurde ein Antrag an den EGMR gestellt, die Situation, in der Herr Öcalan und seine Mitgefangenen leben, als Isolation zu bezeichnen. Eigentlich hätte es dazu bereits ein Urteil geben müssen. Das ist immer noch nicht geschehen, obwohl die juristische Frist abgelaufen ist. Es wird im Moment erwartet, dass dieses Verfahren abgeschlossen wird. Es ist der wichtigste Verfahren, das derzeit vor dem EGMR verhandelt wird. Es wurde 2011 eröffnet, wir schreiben inzwischen fast das Jahr 2023. Zwölf Jahre lang konnte der EGMR es nicht abschließen. Die Tatsache, dass ein so wichtiger Fall wie die Verletzung des Rechts auf Leben und des Folterverbots nicht innerhalb von zwölf Jahren abgeschlossen werden konnte, ist einer unserer Kritikpunkte an der Vorgehensweise des EGMR. Der EGMR hatte bereits zuvor eine Isolation für die Zeit vor 2009 festgestellt, aber er hat noch keine Entscheidung über das Verfahren von 2009 bis heute getroffen, d.h. für die Zeitspanne ab dem Zeitpunkt, als die anderen Gefangenen nach Imrali gebracht wurden. Wir warten seit dem letzten Jahr auf dieses Urteil. Es ist auch in diesem Jahr nicht erschienen. Wir sind der Meinung, dass in dieser Frage bald eine Entscheidung getroffen werden muss.
Abgesehen davon gibt es ein weiteres wichtiges Verfahren. Es handelt sich, wie Sie gerade erwähnt haben, um ein Verfahren gegen Griechenland. Dabei geht es im Grunde um die Rolle Griechenlands im internationalen Komplott. Zuvor wurde in Griechenland ein langwieriger innerstaatlicher Rechtsstreit geführt. Dies war in der Vergangenheit teilweise in der Presse zu lesen, aber da der Rechtsweg innerhalb Griechenlands ergebnislos ausgeschöpft wurde, ging das Verfahren 2019 vor den EGMR. In diesem Verfahren hat der EGMR den Parteien, den Anwält:innen und der griechischen Regierung kürzlich in einem Schreiben mitgeteilt, dass er den Fall aufgenommen und ein Verfahren eingeleitet habe. Das wurde auch in der Presse gemeldet. Es gibt Forderungen von beiden Seiten. Der Prozess hat begonnen. Wenn wir jedoch berücksichtigen, dass Verfahren vor dem EGMR etwas länger dauern und selbst in den schnellsten Fällen nicht innerhalb von fünf bis sechs Jahren abgeschlossen werden, wird klar, dass wir wohl länger auf das Urteil warten müssen.
Es wurde nun zur Mobilisierung gegen die Isolation aufgerufen. Wie sehen Sie das?
Die 24 Jahre andauernde Isolation hat einen Punkt erreicht, an dem nichts mehr nach außen dringt. Ich habe gerade versucht, die menschenrechtliche Dimension dieses Themas darzulegen, aber es hat auch eine gesellschaftliche Dimension, die für das Verstehen des Imrali-Systems unerlässlich ist. Herr Öcalan hat eine Vertreterrolle inne. Er wurde vom kurdischen Volk 2013 als Chefunterhändler benannt und schon zuvor als Vertreter anerkannt. Wenn man bedenkt, dass mehr als zehn Millionen Menschen in der Vergangenheit Petitionen unterzeichnet haben, in denen Herr Öcalan als Repräsentant des eigenen politischen Willens definiert wird und seine Freiheit gefordert wurde, sollte man sehen, dass die Vertretungsrolle von Herrn Öcalan in dieser Frage entscheidend ist. Die Beteiligung der Türkei, der USA, des Vereinigten Königreichs, Israels und aller europäischen Mächte an dem Komplott sowie der Bau eines Spezialgefängnisses auf einer Insel stehen in Zusammenhang mit Herrn Öcalan Rolle als politischer Vertreter. Seine Lage ist engstens mit der kurdischen Frage verwoben. Er ist der Begründer und Vordenker der kurdischen politischen Bewegung im modernen Sinne und der Vertreter von 50 Jahren politischer Geschichte Kurdistans. Er ist derjenige, der den Widerstand in die Gegenwart gebracht hat. Unter diesem Gesichtspunkt handelt es sich bei dieser Frage, auch wenn sie rechtliche und menschenrechtliche Aspekte aufweist, im Wesentlichen um eine politische Frage. Die Isolation auf Imrali und die Atmosphäre, in der sich Herr Öcalan befindet, betrifft also nicht nur ihn, seine Familie und seine Anwält:innen, sondern alle Gesprächspartner im Zusammenhang mit der kurdischen Frage. Es handelt sich um eine Frage, die das gesamte kurdische Volk betrifft. Das ist auch der Ansatz des Staates. Der Staat versteht das am besten. Die Tatsache, dass er Herrn Öcalan dort festhält, dass er ihn außerhalb des geltenden Rechts in der Türkei gefangen hält und die Situation auf Imrali der politischen Lage und den aktuellen Entwicklungen entsprechend anpasst, zeigt deutlich in diese Richtung. Das konnten wir auch bei unseren Besuchen auf Imrali beobachten. Der dortige Ansatz spiegelte sich sofort draußen wider. Mit anderen Worten: Herr Öcalan ist zwar im Gefängnis, aber er ist in der gesamten kurdischen Politik präsent. Daher spiegelt sich jede Veränderung seiner Haftsituation auch draußen wider. Diese Parallelität hat es schon immer gegeben. Der Staat macht dies ohnehin. Wenn draußen Krieg herrscht oder wenn die Isolation auf Imrali verschärft wird, dann verteilt er keine Rosen oder Nelken an die Kurdinnen und Kurden draußen – er verteilt Kugeln an sie. Wenn drinnen mit Herrn Öcalan Gespräche stattfinden, wenn der Verhandlungsprozess beginnt, verändert sich auch das Leben der Kurd:innen draußen. Es entsteht ein gemäßigteres und lebenswerteres Leben in den kurdischen Regionen und der Türkei im Allgemeinen. Wenn wir von den Kurd:innen sprechen, müssen wir diese Parallelität sehen: Die politische Atmosphäre hier, die tägliche Politik der Staatsführung gegenüber Herrn Öcalan, betrifft die gesamte kurdische Gesellschaft außerhalb. Sie betrifft nicht nur Nordkurdistan, sondern auch Rojava, Başûr und alle anderen Teile Kurdistans, in denen die Türkei Einfluss hat und haben will. Das ist eine Realität. Der türkische Staat sieht diese Realität am besten. Er ist immer schon dabei, seine Politik entsprechend auszurichten.
Der Prozess, den wir in den letzten fünf Jahren erlebt haben und der als „Niederwerfungsplan“ bezeichnet wird, begann mit dem Abbruch des Verhandlungsprozesses und dem Beginn der verschärften Isolation. Mit anderen Worten: Es gab zwar vielleicht während des Verhandlungsprozesses Vorbereitungen, aber diese konnten währenddessen nicht in die Praxis umgesetzt werden. Der türkische Staat verfolgt also eine einheitliche Politik von innen und außen. Diese Politik beginnt auf Imrali und wird nach außen reflektiert. Das gilt auch für die Menschen in der Türkei.
Deshalb müssen wir das Thema so betrachten, wie es der Staat tut. Natürlich ist Herr Öcalan für die Kurdinnen und Kurden eine sehr bedeutsame Persönlichkeit. Man muss sich dagegen wehren, dass er isoliert ist, aber eigentlich sollten sich auch alle Menschen in Kurdistan für ihre eigene Freiheit und für die ihr eigenes Leben gegen die Isolation stellen. Wir lehnen die Isolation nicht nur ab, weil wir das Unrecht gegen Herrn Öcalan ablehnen, sondern auch, um die Grundrechte und Freiheiten des kurdischen Volkes zu gewährleisten. Eigentlich sollten die Menschen in der Türkei das auch sehen, aber leider ist man sehr weit von diesem Punkt entfernt. Wenn es um Herrn Öcalan geht, gibt es einen auf rassistischen Verallgemeinerungen basierenden Ansatz. Wenn wir jedoch die letzten fünf Jahre betrachten, dann sehen wir, dass dieser Prozess, der mit der Isolation begann und sich in einem Krieg gegen die Kurd:innen, in Militarismus und Besatzung fortsetzte, eine Ein-Mann-Diktatur in der Türkei geschaffen hat. Diese Entwicklungen kamen zu uns als Krieg, als Massaker an unserer Jugend in den Kellern von Cizîr zurück und sie spiegeln sich auch in der Realität der Türkei als Ein-Mann-Diktatur wider. Das Phänomen der Isolation ist ein Phänomen, das den Prozess, den wir in Kurdistan und der Türkei durchlaufen, bestimmt, das für den Verlauf der Ereignisse und auch somit für die Zukunft entscheidend ist. So stellt der Widerstand gegen den Krieg, Expansionismus, Besatzung und Isolation, deren Ende zu den grundlegenden Forderungen der Gesellschaften gehören, meiner Meinung nach tatsächlich die grundlegende Agenda des kurdischen Volks dar. Daher wird die Haltung, die wir dazu einnehmen, für das Leben von uns allen entscheidend sein. Die kurdische Gesellschaft, das kurdische Volk, hat das Komplott vom ersten Tag an nicht akzeptiert. Wir alle erinnern uns, wie das kurdische Volk nach Rom strömte, als Herr Öcalan nach Europa kam. Unglaublich viele Menschen traten für Herrn Öcalan ein. Es gab auch einen gewaltigen Widerstand gegen das Komplott. Mit anderen Worten: Das kurdische Volk hat von damals bis heute gezeigt, dass es das Komplott in keiner Weise akzeptiert. Die Tatsache, dass immer am 9. Oktober und am 15. Februar Proteste gegen das Komplott stattfinden, zeigt die Haltung des kurdischen Volkes. Es gehört zur Grundhaltung des kurdischen Volkes, das Unrecht dieses von den Weltmächten und der Türkei aufgebauten Systems nicht zu akzeptieren.
Es bedarf aber auch einer stabileren, systematischeren und organisierteren Haltung, um diese Isolation zu überwinden. Natürlich ist die Tagesordnung des kurdischen Volkes übervoll. Einerseits werden nach Völkerrecht verbotene chemische Waffen gegen die kurdische Guerilla eingesetzt, andererseits ist Rojava akut bedroht und die Demokratische Partei der Völker (HDP) und alle politischen Gefangenen sind in Gefahr. Aber die Isolation steht im Zentrum von alledem. Daher wird der Grad, in dem wir die Isolation zurückdrängen, dem kurdischen Volk mehr Luft zum Atmen verschaffen und den Krieg etwas zurückdrängen. Aus diesem Grund muss ein sehr hartnäckiger, systematischer sozialer Kampf geführt werden. Es gibt Widerspruch und Widerstand. Auch in dieser Hinsicht wurde eine Tradition geschaffen. Die Tatsache, dass wir keine Nachricht von Herrn Öcalan erhalten, beweist, dass wir noch nicht das Tempo und die Kraft erreicht haben, die für diese Arbeit erforderlich sind. Wir befinden uns im 22. Monat, in dem wir keine Nachrichten von Herrn Öcalan erhalten haben. Deshalb müssen wir einen sehr starken gemeinsamen und kontinuierlichen Kampf gegen das Komplott, die Isolation, den Krieg, den Expansionismus und die Besatzung führen. Ja, wir müssen einen sehr starken gemeinsamen und kontinuierlichen Kampf gegen die vielen verschiedenen Gesichter derselben Agenda führen.