Hatimoğulları: Frieden braucht Mut zu Reformen

Tülay Hatimoğulları (DEM) fordert die sofortige Einsetzung einer Friedenskommission im Parlament. Die Regierung müsse jetzt konkrete Schritte für eine demokratische Verfassung, ein inklusives Justizsystem und echte gesellschaftliche Versöhnung setzen.

„Es gibt keine Zeit zu verlieren“

Die Ko-Vorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), Tülay Hatimoğulları, hat sich in der wöchentlichen Fraktionssitzung ihrer Partei im türkischen Parlament umfassend zur innen- und außenpolitischen Lage geäußert. Im Zentrum ihrer Rede stand der Aufruf zu einer aktiven Friedenspolitik, strukturellen Reformen und der sofortigen Einrichtung einer vollumfänglich mandatierten parlamentarischen Kommission für die Lösung der kurdischen Frage und einer demokratischen Transformation des Landes.

Fokus auf kurdische Realität und regionale Stabilität

Ein zentrales Element war die geopolitische Bedeutung der kurdischen Frage in der Region. „In letzter Zeit zeigen sich im Nahen Osten drei wesentliche Dynamiken: die destabilisierende Wirkung globaler Einflusskräfte, innere Machtkämpfe regionaler Akteure und die Krise der politischen Repräsentation der Bevölkerung“, sagte Hatimoğulları.

Die kurdische Realität sei ein Schlüsselelement für die Lösung regionaler Konflikte: „Die kurdische Geopolitik ist der Ausgang aus dem Labyrinth des Nahen Ostens. Wer diese Realität ignoriert, wird sich in diesem Labyrinth verlieren“, so die DEM-Politikerin. Sie forderte daher auch die türkische Regierung auf, eine aktive Vermittlerrolle im Syrien-Konflikt zu übernehmen, etwa durch diplomatische Kontakte mit der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES).

„Ein offizieller Besuch in Rojava oder die Einladung ihrer Vertreter:innen nach Ankara wäre ein starkes Signal für Dialog und Frieden – nicht nur für die Türkei, sondern für die gesamte Region.“ Solche Schritte seien essenziell für eine nachhaltige Friedenspolitik, sagte Hatimoğulları: „Wir betonen es immer wieder: Der Frieden zwischen Türk:innen und Kurd:innen ist auch der Schlüssel für inneren Frieden in der Türkei. Eine demokratische Republik kann nur gemeinsam gebaut werden.“

„Kommission muss unverzüglich arbeiten“

Hatimoğulları betonte im weiteren Verlauf, dass die Türkei keine Zeit für symbolische Gesten oder leere Dialogversprechen habe. „Das Land steht an einem historischen Wendepunkt. Was wir brauchen, ist eine Kommission, die arbeitet – nicht nur redet“, sagte sie mit Blick auf die geplante Parlamentskommission, deren Einrichtung Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş kürzlich angekündigt hatte.

Dezentralisierung, Kollektivrechte, Justizreform

Die DEM-Partei habe ihre Vorschläge bereits übermittelt und fordere, dass diese Kommission ergebnisorientiert, transparent und rechenschaftspflichtig arbeite. Themen wie Dezentralisierung, Kollektivrechte, Justizreform und die von der Regierung geforderte Entwaffnung der Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) müssten konkret auf die Tagesordnung. „Diese Kommission sollte in die Geschichte eingehen als eine, die Frieden nicht nur verhandelt, sondern organisiert hat.“

Rolle der Frauenbewegung und Zivilgesellschaft

Besonderen Wert legte Hatimoğulları auf die Einbindung von Frauen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in diesen Prozess. Sie verwies auf eine große Friedensdemonstration am letzten Wochenende in Amed (tr. Diyarbakır), zu der die kurdische Frauenbewegung TJA aufgerufen hatte, und betonte: „Die Frauenbewegung muss ein zentraler Bestandteil jeder Friedensarchitektur sein. Ihre Erfahrung, ihre Forderungen und ihre Organisationskraft dürfen nicht ignoriert werden.“

Konstruktive Verfassung statt leere Debatten

Zur aktuellen Debatte um eine neue Verfassung sagte Hatimoğulları: „Wenn wir von einer wirklich neuen Verfassung sprechen, dann muss sie auf den Prinzipien der Gleichheit, der demokratischen Teilhabe und der pluralen Identität beruhen.“ Die Politikerin begrüßte in diesem Zusammenhang Aussagen von CHP-Chef Özgür Özel, der sich unlängst für das Recht auf muttersprachlichen Unterricht und eine inklusive Staatsbürgerschaftsdefinition aussprach. „Nur wenn alle gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden – jenseits parteipolitischer Eigeninteressen – kann eine solche Verfassung ein Fundament für dauerhaften inneren Frieden schaffen“, erklärte sie.

Friedenspolitik: mehr als ein Wort

„Wir können nicht länger auf Godot warten – wir warten auf den Frieden“, sagte Hatimoğulları in Anspielung auf das bekannte Theaterstück. Die Verantwortung für konkrete Schritte liege jetzt klar bei der Regierung. Die Bevölkerung verliere zunehmend das Vertrauen, wenn die politischen Ankündigungen ohne konkrete Taten blieben.

Mit Blick auf das zurückgezogene Amnestiegesetz im Rahmen des 10. Justizpakets warf Hatimoğulları der Regierung vor, Millionen Menschen enttäuscht zu haben. „Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit darf nicht Parteitaktik geopfert werden. Hunderttausende Gefangene und ihre Familien hatten Hoffnungen auf Erleichterung. Diese wurden nun politisch kalkuliert zerstört.“

Demokratischer Aufbruch: „Wir werden den Frieden organisieren“

Hatimoğulları kündigte zudem eine Sommeroffensive ihrer Partei für Demokratie und Frieden an. Die DEM werde sich in den kommenden Monaten verstärkt in der Gesellschaft organisieren, neue Strukturen aufbauen und in die Breite gehen. „Wir sagen: Nicht nur reden, sondern organisieren. Wir werden den Frieden aufbauen – gemeinsam mit der Gesellschaft.“ Sie unterstrich, dass Frieden nur durch eine gleichzeitige parlamentarische Arbeit und gesellschaftliche Mobilisierung möglich sei. „Eine Seite ist das Parlament, die andere Seite ist die Straße, die Nachbarschaft, das Dorf, die Stadt – der soziale Raum. Frieden ist nicht nur ein Vertrag, er ist eine Bewegung.“