Verdächtiger Todesfall im Gefängnis Elbistan

Ein aus Efrîn verschleppter und in der Türkei wegen Terrorvorwürfen inhaftierter Zivilist soll im Gefängnis von Elbistan Selbstmord begangen haben. Der 57-Jährige wurde in Istanbul auf einem Friedhof für Namenlose begraben.

Der aus Efrîn in Nordwestsyrien von Besatzungstruppen entführte kurdische Zivilist Muhammed Emir soll im Gefängnis von Elbistan Selbstmord begangen haben. Das hätten türkische Polizisten in Zivil seinem Bevollmächtigten Bekir Kaya mitgeteilt. Der Fall wirft Fragen auf, da Emir Meldungen nach im Zuge der Besatzung des ehemals selbstverwalteten Kantons im Frühjahr 2018 von der türkischen Armee in die Türkei verschleppt und dort unter dem Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ nach türkischem Recht in Untersuchungshaft genommen worden sein soll – für mutmaßliche Verbrechen, die er in Syrien begangen hätte – eine unrechtmäßige Deportation also. Auf welche Weise sich der Mann das Leben genommen haben soll, ist unterdessen unklar. Die Gefängnisleitung war für eine Stellungnahme nicht zu sprechen. Aus dem Sterberegister der Provinz Maraş (kurd. Gurgum) geht lediglich hervor, dass Muhammed Emir im Jahr 1963 geboren wurde und am 2. Oktober 2020 starb. Seine Angehörigen sollen „im Ausland“ leben.

Verschleppungen durch türkisch-dschihadistische Besatzungstruppen aus Syrien in die Türkei und die anschließende Inhaftierung bzw. Verurteilung der Betroffenen passieren häufig, medial werden solche Fälle international jedoch kaum aufgegriffen. Ende 2019 waren elf Zivilisten, die mehr als ein Jahr zuvor von protürkischen Milizen aus Efrîn verschleppt und anschließend dem türkischen Geheimdienst übergeben, gefoltert und dann in der Türkei inhaftiert wurden, in Hatay in einem konstruierten Verfahren zu Haftstrafen zwischen zwölf Jahren und lebenslänglich verurteilt worden. Vorgeworfen wurde den Männern ihre angebliche Verwicklung in den Tod zweier türkischer Besatzungssoldaten.

In der Provinz Riha (türk. Urfa) steht seit Juni die Kriegsgefangene Çiçek Kobanê (bürgerlicher Name: Dozgin Temo) vor Gericht. Die Anklage wirft der Angehörigen der Frauenverteidigungseinheiten YPJ (Yekîneyên Parastina Jin) die Störung der Einheit und Integrität des Staates, Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation und vorsätzlichen Mordversuch in mehreren Fällen vor. Çiçek Kobanê war im Oktober 2019 im nordsyrischen Ain Issa in Gefangenschaft der Dschihadistenmiliz Ahrar al-Sham geraten, die Teil des dschihadistischen Proxykorps der Türkei, der sogenannten „Syrische Nationalarmee“ (SNA) ist, und sich an der Invasion in Rojava beteiligt. Nach ihrer Gefangennahme wurde die in Raqqa geborene Kurdin aus Kobanê über die Grenze auf türkisches Staatsgebiet verschleppt. Seitdem befindet sie sich in einem Hochsicherheitsgefängnis Riha in Untersuchungshaft.

Korrekturhinweis: Mittlerweile ist bekannt, dass Muhammed Emir seit 1993 in der Türkei in Haft war. Er hatte sich 1989 in Rojava der PKK angeschlossen und geriet im Zuge eines Gefechts verletzt in türkische Gefangenschaft. Wo er von Soldaten angeschossen wurde, ist allerdings unklar. Kurz nach seiner Inhaftierung in der Türkei wurde der 1963 in Efrîn geborene Emir von einem Staatssicherheitsgericht (mittlerweile abgeschafft) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im März 2023 wäre diese Strafe abgesessen.