Mit der Anklageverlesung hat vor dem 5. Schwurgerichtshof Urfa (kurd. Riha) am Dienstag der Prozess gegen die YPJ-Angehörige Çiçek Kobanê (bürgerlicher Name: Dozgin Temo) begonnen. Die Anklage wirft der Kriegsgefangenen „Störung der Einheit und Integrität des Staates”, „Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation” und „vorsätzlicher Mordversuch” vor. Çiçek Kobanê war am 21. Oktober im Dorf Mişrefa bei Ain Issa verletzt in Gefangenschaft der Dschihadistenmiliz Ahrar al-Sham / Bataillon Darat Izza (Dar Taizzah) geraten, die sich als Komponente des von der Türkei aufgebauten dschihadistischen Invasionskorps „Syrische Nationalarmee“ (SNA) an der völkerrechtswidrigen Besatzung in Nordsyrien beteiligt. In Online-Netzwerken tauchten Fotos und Videos von der Gefangennahme auf, in denen die Hinrichtung von Çiçek Kobanê angekündigt wurde. Die Islamisten präsentierten sie als Gefangene und schrien: „Ins Schlachthaus, ins Schlachthaus.“ Nach internationalen Protesten wurde sie in die Türkei überstellt. In Riha wurde ihr bei einer Operation am Fuß eine Platinschiene eingesetzt, anschließend kam die syrische Staatsbürgerin im Hochsicherheitsgefängnis Urfa in Untersuchungshaft. Seit der Operation kann Çiçek Kobanê nicht allein aufstehen und sich selbst versorgen.
Zu ihrer Verteidigung erklärte Çiçek Kobanê auf Kurdisch vor Gericht, dass sie sich aus freien Stücken der in Nordsyrien „am stärksten organisierten Kraft“ angeschlossen habe und zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme nicht an bewaffneten Handlungen beteiligt war. Vielmehr habe sie humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung geleistet. Kobanês Verteidiger Hidayet Enmek äußerte, dass ihm vor Beginn der Hauptverhandlung keine Abschrift der Anklageschrift ausgehändigt wurde und eine sachgerechte Verteidigung zum Prozessbeginn somit unmöglich sei. Der Jurist wies das Gericht auf die illegale Verschleppung seiner in Raqqa geborenen Mandantin in die Türkei hin und forderte Auskunft über die Identität der an der Entführung Çiçek Kobanês beteiligten Islamisten. Aus der Anklageschrift gehe nicht hervor, um wen es sich bei diesen Personen handelt. Auch werde die Information unterschlagen, wie Kobanê verletzt wurde. „SNA-Angehörige haben keine polizeilichen Befugnisse inne. Somit steht ihnen nicht das Recht zu, eine Person festzunehmen. Die Festnahme meiner Mandantin ist rechtswidrig, außerdem lässt sich feststellen, dass die Anklageschrift in großen Teilen mangelhaft ist.“ Für die gegen Kobanê erhobenen Vorwürfe sei es wichtig zu verstehen, von wem und auf welche Weise die illegale Inhaftierung seiner Mandantin durchgeführt wurde.
Einem Antrag, die beteiligten Personen zu befragen, wurde nicht stattgegeben. Das Gericht ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft an und vertagte sich auf den 28. Juli 2020.