Prozess in Ankara wegen Teilnahme an Gay-Pride

Wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Gay-Pride in Ankara müssen sich 42 LGBTIQ-Menschen vor Gericht verantworten. Sie sind zwar auf freiem Fuß, allerdings drohen ihnen bis zu drei Jahre Gefängnis.

Wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Gay-Pride in Ankara müssen sich seit dieser Woche 42 LGBTIQ-Menschen vor Gericht verantworten. Die Angeklagten sind zwar auf freiem Fuß, allerdings drohen ihnen bis zu drei Jahre Gefängnis wegen vermeintlichem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Missachtung der Anweisungen der Polizei zur Auflösung der Veranstaltung. Ihre Verteidigung und LGBTIQ-Organisationen (lesbisch, schwul, bisexuell, trans, inter und queer) kritisieren den Prozess und forderten beim Auftakt den sofortigen Freispruch der Angeklagten.

Grundlage des seit Donnerstag vor der 52. Strafkammer des Landgerichts Ankara verhandelten Verfahrens ist der CSD, der am 5. Juli 2022 zum zweiten Mal in der türkischen Hauptstadt hätte stattfinden sollen. Mit Verweis auf Sicherheitsbedenken hatten die Behörden im Vorfeld ein Verbot der Demonstration angekündigt. In einer entsprechenden Verfügung war mit Blick auf homophobe und queerfeindliche Hetze und Drohungen durch Islamisten – die als „konservative Kreise“ bezeichnet wurden – geltend gemacht worden, dass die „öffentliche Ordnung“ bei Durchführung der Pride unmittelbar gefährdet werden könnte. Radikale Gegenproteste von islamistischen Gruppen hingegen waren erlaubt worden.

Die Angeklagten und ihre Verteidigung beim Prozessauftakt | Foto: MLSA

Bereits der erste CSD Ankaras im Jahr davor wurde von der Polizei aufgelöst. Auch 2022 ging die Polizei brutal gegen die LGBTIQ-Community vor. Erst hatte die Behörde den ursprünglichen Kundgebungsort in einem Park abgesperrt, bevor brutale Festnahmen erfolgt waren. Mehrere der Pride-Teilnehmenden verlasen dennoch an mehreren Orten der Innenstadt eine Pressemitteilung mit ihren Forderungen. Derweil positionierten sich Mobs der islamistischen Refah-Partei unter Polizeischutz zu Lynchangriffen, während die Pride-Teilnehmenden mit Pfefferspray und Schlagstöcken attackiert wurden. Zahlreiche CSD-Teilnehmende wurden mit Handschellen auf dem Rücken abgeführt, einige von ihnen über den Boden geschleift. Unter den Festgenommenen befanden sich auch mehrere Anwält:innen und zwei Journalist:innen, darunter Emel Vural. Der Korrespondentin der kurdischen Nachrichtenagentur Mezopotamya war das Pfefferspray aus dem Nahabstand ins Gesicht gesprüht worden, zudem wurde sie massiv geschlagen. Noch vor Ort verlor sie das Bewusstsein und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Die Tortur gegen die Pride-Teilnehmenden ging indes auch in Polizeihaft weiter. Insgesamt zwölf Stunden lang mussten die Betroffenen in Gewahrsam verbringen, Gewalt und schwere Formen von Beleidigungen im Gefangenentransporter und während einer obligatorischen Gesundheitskontrolle erdulden – durch Polizisten, die Behandlungsräume von Kliniken in Beschlag genommen hätten, beklagten Betroffene vor Gericht. Außerdem werfen sie der Polizei vor, nichts gegen die Angriffsversuche der Islamisten unternommen und Verfolgungsfahrten teils sogar begünstigt zu haben. Einige Angeklagte berichteten zudem von Vergewaltigungsdrohungen in Polizeigewahrsam.

Bei dem Prozessauftakt kamen zunächst ein Dutzend der Angeklagten zu Wort. Sie wiesen die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft entschieden zurück und erwirkten über ihre Verteidigung nicht nur, dass bewaffnete Polizisten des Gerichtssaals verwiesen wurden, sondern das Verfahren allgemein nicht von Sicherheitsbeamten beobachtet werden darf, die zu den Gewalttätern der Pride gehört haben könnten. „Nicht uns sollte der Prozess gemacht werden, sondern den gewalttätigen Polizisten, die uns sogar mit Vergewaltigung drohten“, sagte eine betroffene LGBTIQ-Person. „Das Verbot der Pride-Parade entbehrte jeder rechtlichen Grundlage und hat das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit dieser Menschen verletzt“, so ihre Verteidigung. Der Prozess wird am 22. Juni fortgesetzt.

Türkei laut Rainbow-Europe-Rangliste LGBTIQ-feindliches Land

In der Türkei nehmen gewaltsame Übergriffe auf queere Menschen seit einigen Jahren wieder massiv zu. Homosexualität ist zwar legal, LGBTIQ-Rechte sind aber nicht in der Verfassung verankert – die Community damit gesetzlich nicht geschützt. Körperliche und verbale Angriffe sowie Verbote der Gay-Pride und anderer queerer Kulturveranstaltungen sind die Folge. In der neuesten Rangliste der LGBTIQ-Organisation ILGA-Europe, die in 49 Ländern die rechtliche Lage von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten analysiert und bewertet, nimmt die Türkei Platz 48 ein. Nur Aserbaidschan schneidet noch schlechter ab.