Tränengas und Gummigeschosse auf Pride-Marsch an ODTÜ

Die türkischen Behörden haben in Ankara eine Pride-Parade an der Technischen Universität des Nahen Ostens verhindert. Die Studierendenschaft wurde mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen, zahlreiche Personen wurden festgenommen.

Die türkischen Behörden haben einen Pride-Marsch an der Technischen Universität des Nahen Ostens (ODTÜ) in Ankara mit einem großen Aufgebot verhindert. Nach einem zuvor erteilten Verbot der zehnten Auflage der Parade für die Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen/Transgender, Intersexuellen und Asexuellen (LGBTQIA+) hielten Sicherheitskräfte die Studierenden und Aktive der LGBTQIA-Bewegung davon ab, sich auf dem Campus zu versammeln. An verschiedenen Orten auf dem Universitätsgelände ging die Polizei gegen größere Gruppen vor und setzte Tränengas ein. Auch Gummigeschosse wurden von Sicherheitskräften auf Studierende und Aktivist:innen abgefeuert.

Mindestens zehn Menschen, die trotz des Verbots Parolen skandierten und sich an einem kurzen Marsch beteiligten, wurden unter dem Einsatz teils massiver Gewalt in Polizeigewahrsam genommen. Die genaue Zahl der Betroffenen ist weiterhin unklar, dem Organisationskomitee der Pride-Parade liegen aufgrund der andauernden Polizeibelagerung und Durchsuchungsaktionen in Gebäuden der Hochschule noch keine gesicherten Daten vor. „Entgegen der homophoben, faschistischen und polarisierenden Haltung der Zwangsverwaltung sagen wir: Gewöhnt euch an uns! Wir sind hier, um zu sagen, dass wir nicht gehen werden“, hieß es in einem Statement, das eine Gruppe Studierender am Rande des Polizeiterrors noch abgeben konnte. Im Zentrum der Proteste an der ODTÜ für die Rechte von LGBTQIA+ steht auch die Zwangsverwaltung der Hochschulen durch das Regime von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan.

Verbotsbegründung: Schaden am Prestige der Universität

Am Dienstag hatte das Rektorat der ODTÜ den Studierenden der Universität eine E-Mail gesendet und die Pride-Parade als „kategorisch verboten“ bezeichnet. Jeglichen Teilnehmenden der friedlichen Veranstaltung wurde außerdem ein polizeiliches Eingreifen angedroht. Die Universität sei ein friedliches, produktives und kreatives akademisches Umfeld. Durch demonstrierende Studierende würde das Prestige der ODTÜ einen Rufschaden erleiden, heißt es in der E-Mail zur Begründung für das Pride-Verbot.

Amnesty International: Schlag gegen Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte nach Bekanntwerden des Demonstrationsverbots eine Eilaktion gestartet und vom ODTÜ-Rektorat gefordert, dass alle Personen, die an Pride teilnehmen wollten – Studierende wie auch Angestellte – in der Lage sind, ihr Recht auf friedliche Versammlung uneingeschränkt und ohne Furcht vor Vergeltung oder Bestrafung wahrzunehmen. „Der in der E-Mail angeführte Grund für das Verbot, nämlich der ‚dem Prestige der Universität zugefügte Schaden‘, ist keine in der türkischen Gesetzgebung verankerte Rechtsgrundlage und ist auch gemäß internationaler Menschenrechtsnormen und -standards nicht zulässig. Diese Maßnahme schränkt die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Studierenden und -Angestellten auf unangemessene Weise ein und muss rückgängig gemacht werden“, hatte die Organisation erklärt.

Letzter Pride-Marsch ebenfalls gewaltsam angegangen

Schon beim letzten Pride-Marsch am 10. Mai 2019, als Studierende und Angestellte der ODTÜ eine friedliche Parade auf dem Campus abhalten wollten, begegnete man ihnen mit unverhältnismäßiger Polizeigewalt und untersagte ihnen die Teilnahme. Als Grund war die „Teilnahme an einer unerlaubten Versammlung“ und das „Nichtbefolgen der Anordnung zur Auflösung der Veranstaltung“ genannt worden. Mindestens 21 Studierende und Angestellte wurden damals festgenommen, neunzehn von ihnen mussten sich vor einem Strafgericht in Ankara verantworten. Zwei Jahre zog sich der Prozess hin. Im Oktober 2021 wurden alle Angeklagten freigesprochen.

Türkei gilt als LGBTQIA+-feindliches Land

Laut dem Regenbogen-Index 2021 der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) gehört die Türkei zu den LGBTQIA+-feindlichen Ländern in Europa. In den letzten vier Jahren lag das von Erdogan geführte Land in dem Ranking auf Platz 48 von 49 europäischen Ländern. Nur Aserbaidschan schnitt noch schlechter ab. Die ILGA führt jedes Jahr Buch über positive sowie negative Veränderungen in Gesetzgebung, Politik und Gesellschaftsklima, welche die LGBTI-Gemeinschaft betreffen. Auf Grundlage von 69 Kriterien erstellt die Vereinigung ein Ranking der freundlichsten Länder, in dem sich LGBTQIA+-Paare und -Individuen sicher fühlen können. Wobei null Prozent grobe Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung bedeuten und hundert Prozent, dass Rechte respektiert werden und Gleichberechtigung herrscht. Die Türkei hat nur drei von der Gruppe festgelegten Kriterien umgesetzt und erhielt im Index lediglich vier Prozentpunkte.