Der schwer kranke politische Gefangene Cebrail Vural (50) wurde aus türkischer Haft entlassen. Er war 1994 im Alter von 20 Jahren inhaftiert und zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Zuvor war er 70 Tage lang gefoltert und anschließend aufgrund fabrizierter Aussagen verurteilt worden. Aufgrund der Folter und der Haftbedingungen leidet er unter schweren körperlichen Problemen. So wird berichtet, er leide an COPD, Asthma, Rückenproblemen, Prostataproblemen und Bandscheibenvorfällen. In seinen 30 Jahren Haft wurde er durch eine Vielzahl von Gefängnissen geschleust. Er saß unter anderem in Dêrik, Amed, Yozgat, Mûş, Mîdyad, Amed, Tokat und zuletzt in Kırşehir ein. Aufgrund ihres Gesundheitszustands konnte seine Mutter ihn in den vergangenen fünf Jahren insgesamt nur 40 Minuten sehen.
Menschenmenge begrüßt Vural mit Feuerwerk
Vural wurde von seiner Familie vor dem Gefängnis empfangen. In Wêranşar in seiner Heimatprovinz Riha erwarteten ihn Hunderte Menschen mit Feuerwerk am Ortseingang. Auch Tahir Temel, der ebenfalls vor kurzem nach 30 Jahren politischer Gefangenschaft entlassen wurde, nahm an der Begrüßungsfeier teil. Anschließend begleitete ihn ein Konvoi zur Wohnung seiner Familie. Vor seiner Wohnung versammelte sich eine große Menschenmenge, darunter auch die Vertreter:innen des Provinzverbands der DEM-Partei und die Ko-Bürgermeisterkandidat:innen Bedriye Yorgun und Serhat Dicle Inan. Die Menschen riefen immer wieder „Es lebe der Gefängniswiderstand“ und „Die Gefängnisse werden das Grab des Faschismus sein“.
Empfang von Cebrail Vural nach 30 Jahren Haft
„Aus dem Kerker entlassen zu werden, bedeutet noch keine Befreiung“
Dann ergriff Vural selbst das Wort: „Ich danke allen, die gekommen sind, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin gerührt. Ich bin sehr froh, dass ihr gekommen seid. Unser Kampf geht weiter. Aus dem Kerker herauszukommen, bedeutet noch keine Befreiung. Als ich euch gesehen habe, habe ich meine 30 Jahre im Gefängnis vergessen." Die Bürgermeisterkandidatin Bedriye Yorgun erklärte: „Diejenigen, die unser Volk in die Kerker sperren und glauben, dass sie damit etwas erreichen können, irren sich gewaltig.“
„Es lebe der Gefangenenwiderstand“
Yıldız Vural sagte zur Entlassung ihres Ehemannes: „Wir sind sehr froh, dass wir diesen Tag erleben können. Cebrail war 30 Jahre lang im Gefängnis. Er war in den Gefängnissen von Mardin, Midyat, Muş, Yozgat, Tokat und Kırşehir inhaftiert. Ich hatte eine sehr harte Zeit, ich habe in dieser Zeit zwei Kinder allein großgezogen, aber wir haben überlebt und werden uns bis zum Tod nicht beugen. Ich grüße alle Gefangenen von ganzem Herzen. An einem Tag wie heute möchte ich, dass sie alle herauskommen. Wir stehen kurz vor unserer Befreiung. Es lebe der Widerstand der Gefangenen. Lang lebe Kurdistan.“
Die Geschichte von Cebrail Vural
Die Familie Vural stammt ursprünglich aus dem Dorf Siyamed (tr. Akça) im Weiler Bozbayır im Landkreis Dêrik in der der nordkurdischen Provinz Mêrdîn (Mardin). Die Familie erlebte in den 1990er Jahren massive Repression durch den Staat und seine Paramilitärs, die sogenannten Dorfschützer. Zwei seiner Cousins und zwei seiner Neffen wurden in diesem Zusammenhang vom Staat ermordet. Die Familie wurden unter Druck gesetzt, das Dorf zu verlassen. Ihre Häuser wie auch ihr Weiler wurden niedergebrannt. Daraufhin zog die Familie nach Wêranşar in der Provinz Riha (Urfa). Doch auch dort ging die Repression weiter.
Bis zur Unkenntlichkeit gefoltert
Cebrail Vural hatte geheiratet und bereits zwei Kinder, eines davon sechs Monate alt, als die Polizei im März 1994 das Haus der Familie in Wêranşar stürmte und ihn festnahm. Vural befand sich im Rahmen des Ausnahmezustands (OHAL) 70 Tage lang im Gewahrsam. Die Familie erhielt keine Nachricht und Vural wurde in dieser Zeit schwer gefoltert. Sein Bruder Mehmet Selim Vural beschrieb die Situation gegenüber Özgür Politika: „Wir haben 70 Tage lang nichts von ihm gehört, dann hörten wir, dass er zum Gericht gebracht werde. Wir gingen hin und sahen ihn im Gericht. Er war bis zu Unkenntlichkeit gefoltert worden. Es wurden falsche Zeugenaussagen gegen ihn gemacht, und er wurde aufgrund dieser falschen Aussagen zu lebenslanger Haft verurteilt.“
Vom Analphabeten zum Kurdischlehrer und Autor
Zur Zeit seiner Festnahme war Vural Bauer. Er war nie zur Schule gegangen und konnte weder lesen noch schreiben. Das lernte er erst im Gefängnis. Er schloss sogar ein Fernstudium ab und wurde Autor, seine Texte wurden mehrfach ausgezeichnet. Er schrieb auch kurdische Märchen und war im Gefängnis Kurdischlehrer. Über sein Leben im Gefängnis verfasste er zwei Bücher, die jedoch vor der Veröffentlichung beschlagnahmt wurden.