Lange Haftstrafen im KCK-Verfahren von Gever

Das KCK-Verfahren von Gever ist elf Jahre nach Prozesseröffnung mit Schuldsprüchen beendet worden. Alle dreißig Angeklagten, darunter die abgesetzte Bürgermeisterin Remziye Yaşar, wurden zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Im „KCK-Verfahren von Gever“ sind am Freitag alle dreißig Angeklagten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Allein siebzehn Jahre und sechs Monate Gefängnis gab es wegen „Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation“ für Remziye Yaşar, der abgesetzten Ko-Bürgermeisterin des Bezirks Gever (tr. Yüksekova) in Colemêrg (Hakkari), die seit Oktober 2019 in einem anderen Verfahren in Untersuchungshaft sitzt. Gleichhohe Haftstrafen verhängte das Gericht gegen den ebenfalls inhaftierten Vahit Şahinoğlu sowie Mehmet Çapraz. Letzterer gehörte bis 2011 dem Kreisvorstand der „Partei des Friedens und der Demokratie“ (BDP) an, die sich 2014 in „Partei der demokratischen Regionen” (DBP) umbenannte. Weil Çapraz nicht auffindbar ist, wurde er zur Feststellung des Aufenthaltsortes zur Fahndung ausgeschrieben.

Die restlichen 27 Angeklagten, bei denen es sich um den Journalisten Necip Çapraz sowie um Tacettin Safalı, Yılmaz Güneyli, Yılmaz Gözyan, Abidin Eniş, Naif Öztekin, Nazif Ataman, Arif Karay, Sabri Tümen, Abdülkerim Akdoğan, Songül Öğmen, Süleyman Sabri Mavi, Abdülhalik Özdel, Metin Yaşar, Muhyettin Önal, Nahide Yıldız Pulat, Hurşit Altekin, M. Emin Seven, Hüsnü Beşer, Abdülmenaf Düzenci, Abdurahman Gemicioğlu, Ruken Yetişkin, Cemil Bor, Hüsnü Bulgan, Seracettin Fırat, Ahmet Öner und Reşit Örbey handelt, erhielten unter demselben Vorwurf Freiheitsstrafen in Höhe von acht Jahren und neun Monaten. Gegen sie verhängte das Gericht zudem polizeiliche Meldeauflagen, um eine Flucht zu verhindern.

Vor der Urteilsverkündung kam es zu Tumulten vor Gericht. Die Polizei hatte einen Belagerungsring um den Justizpalast gezogen, durchgelassen wurden lediglich die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Angeklagten und Prozessbeobachter:innen des Menschenrechtsvereins IHD und der Juristenvereinigung ÖHD. Gewöhnliche Zuschauer:innen durften die Verhandlung nicht beobachten. Weitere Proteste gab es im Saal, weil die HDP-Politikerin Remziye Yaşar nicht persönlich anwesend war, sondern aus dem Frauengefängnis in Xarpêt (Elazığ) über das Videoliveschaltungssystem SEGBIS in die Verhandlung eingebunden wurde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund des Prozesses

Das KCK-Verfahren von Gever lief bereits seit Januar 2012. Die Repressionswelle gegen vermeintliche Mitglieder der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), dem Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung, begann allerdings schon am 14. April 2009 – nur einen Tag, nachdem die KCK einen Waffenstillstand der PKK bis zum 1. Juli verlängert und in einer Deklaration davon gesprochen hatte, dass „zum ersten Mal die Möglichkeit besteht, die kurdische Frage in einem Umfeld der Waffenruhe zu lösen“. Zwei Wochen zuvor hatten in der Türkei Kommunalwahlen stattgefunden, die pro-kurdische Partei DTP konnte die Zahl ihrer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beinahe verdoppeln. Noch im selben Jahr wurde die DTP wegen Terrorvorwürfen durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten.

Die daraufhin eingeleitete „KCK-Operation“ begann zunächst mit der Verhaftung etlicher kurdischer Politikerinnen und Politikern sowie Verantwortlichen von NGOs. In der Folge ergriff der Repressionsschlag wellenförmig alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und betraf auch Bürgermeister:innen, Gewerkschafter:innen, Journalist:innen, Verteidiger:innen der Menschenrechte und Rechtsanwält:innen. Am Ende der Operation im Jahre 2011 waren etwa 10.000 Menschen unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in der KCK verhaftet worden. Etliche Betroffene wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.