Jeden Tag kommen Meldungen von Toten aus den Gefängnissen der Türkei. Es wird alles getan, damit die kranken Gefangenen sterben. So wird Rache an den demokratisch-revolutionären Gefangenen genommen. Die Haltung gegenüber der kurdischen Politikerin Aysel Tuğluk ist das eindrucksvollste Beispiel für die Rachementalität dieses Staates. Es wird eine Politik des Genozids auf Zeit praktiziert. Alle, die sich darum bemühen, diese Politik zum Scheitern zu bringen, werden als Feinde betrachtet. Diejenigen, die ohnehin schon in Gefängnissen sitzen, erleben diese Grausamkeit, weil sie sich gegen die Verleugnung der Kurd:innen, die Türkisierung und die Benutzung Kurdistans als Expansionsgebiet der türkischen Nationenbildung gestellt haben.
Wer kann angesichts dieser Praktiken in den Gefängnissen und der daraus resultierenden Todesfälle sagen, dass die Todesstrafe in der Türkei aufgehoben wurde? Die Menschen in den Kerkern werden auf Raten hingerichtet. Es findet nicht eine Hinrichtung statt, stattdessen schwingen die Gefangenen jeden Tag erneut am Galgenstrick.
Insbesondere unter der Herrschaft der AKP/MHP-Regierung wurde eine Unterdrückungsordnung etabliert, die keinerlei humanistischen, moralischen oder auch nur juristischen Grundsatz anerkennt. Das System der Unterdrückung verweist über den Faschismus hinaus. Es werden ein paar formale Rechtsnormen und -strukturen verwendet, um diese Struktur zu verschleiern. Die EU, der die Türkei beitreten möchte, ignoriert Praktiken, die die Welt aufbringen würden, wenn sie anderswo geschehen würden. Wenn überhaupt, dann kritisiert die EU ohne jegliche praktische Konsequenz. Obwohl die Türkei die einschlägigen europäischen Konventionen in vielen Bereichen unterzeichnet hat, wendet Europa nicht dieselben Kriterien auf die Türkei, wie auf andere an. Die Türkei wird dadurch ermutigt und setzt ihre Praktiken rücksichtslos fort. Das Regime sagt, die EU könne eh nicht mehr machen, als ein paar Punkte zu kritisieren. Der damalige deutsche Bundeskanzler Schröder hat gesagt, man müsse die Beziehungen zur Türkei auf der Grundlage der eigenen Interessen pflegen. Er nannte das Politik. Es handelt sich um eine schmutzige Politik! Die Bunderegierung hat offen zugegeben, dass sie die faschistische Politik in der Türkei unterstützt. Angela Merkel hat in diesem Sinne bereits ihren historischen Platz eingenommen, sie hat noch mehr als Gerhard Schröder den faschistischen Charakter der Türkei vertuscht und Kritik an dem Regime dort behindert.
Obwohl die Situation in den Gefängnissen in der Türkei so ist, macht das sogenannte Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter (CPT) als zuständige Organisation rein gar nichts. Denn man will die Türkei um des politischen Vorteils willen nicht beunruhigen.
Wie die Gefangenen in der Türkei sterben gelassen werden, wie sie behandelt werden, zeigt sich in der Haltung der offiziellen Imame gegenüber den Toten. Staatliche Imame verweigern den Toten die Trauergebete. Diese Imame verhalten sich nicht wie religiöse Menschen, sondern wie feindliche Politiker. Keine Religion und kein Glaube in der Geschichte der Menschheit hat sich gegenüber Toten und ihren Beerdigungen so positioniert. In der Türkei beten Imame nicht für diejenigen, die sich gegen die kurdenfeindliche Politik des türkischen Staates stellen. Das ist Ausdruck der Grundstruktur aller Institutionen der Türkei. Gerichte, Universitäten, Schulen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, Presse, Kunst und Sport sind von dieser Mentalität geprägt. Was die Künstler Ahmet Kaya angetan haben, ist heute Realität der gesamten Türkei. Wenn sich jetzt ein Künstler outen und die Politik der Türkei kritisieren und die Sprache, Kultur, Identität und Freiheit für Kurd:innen fordern würde, würden Künstler:innen, die vom Staat profitieren wollen, eine ähnliche Reaktion wie damals zeigen. Wie viele Künstler:innen konnten angesichts der jüngsten Angriffe auf Sezen Aksu und Tarkan klar Stellung beziehen? Das ist der Status quo der Kunst in der Türkei. Wenn in einem Land die Situation der Kunst so ist, dann braucht man gar nicht mehr darüber zu reden, wie es in den anderen Bereichen aussieht.
Heute werden Gefangene, die bereits 24 Jahre oder 30 Jahre abgesessen haben und freigelassen werden müssten, nicht entlassen. Es werden neue Strafen zum Beispiel in Zweitverfahren verhängt. Um eine gute Sozialprognose zu erhalten, müssen die Gefangenen vom kurdischen Freiheitskampf abschwören. Natürlich akzeptieren diejenigen, die 20, 24, 30 oder 35 Jahre für ihre Gedanken eingekerkert waren, solche Zumutungen nicht. Diese Angriffe sind eine Fortsetzung der Unterdrückung und Grausamkeit im Amed (tr. Diyarbakır) der 1980er Jahre. Damals wurde versucht, die Menschen mit Folter zum Abschwören von ihrer kurdischen Identität zu zwingen, heute wird mit der Verweigerung der Entlassung gedroht. Natürlich leisten sowohl die Gefangenen als auch ihre Familien Widerstand. Kurdische Politiker:innen hatten in der Geschichte der Gefängnisse nie die Einstellung, sich solchen Zwängen zu ergeben. Selbst wenn sie hundert Jahre sitzen, werden sie ihre Gedanken, ihre Würde und ihren Willen verteidigen.
Die Gefangenen kämpfen für die Demokratisierung der Türkei und für ein freies und autonomes Leben für das kurdische Volk. Sie fordern ein freies Kurdistan und eine demokratische Türkei. Daher müssen das kurdische Volk und die demokratischen Kräfte für sie eintreten. Es ist auch die grundlegendste freiheitliche und demokratische Pflicht, sich mit den Gefangenen zu solidarisieren.