Kolbersterben im iranisch-türkischen Grenzgebiet

Im Grenzgebiet zwischen Nord- und Ostkurdistan sind im vergangenen Jahr mindestens 67 Lastenträger ums Leben gekommen. Allein 59 von ihnen wurden Opfer extralegaler Hinrichtungen durch Sicherheitskräfte der Türkei und Irans.

Mindestens 67 Lastenträger sind im vergangenen Jahr im iranisch-türkischen Grenzgebiet zu Tode gekommen, weitere 163 wurden verletzt. Das geht aus einem Bericht der Initiative „Kolbarnews” hervor, der Daten über allle polizeilich erfassten oder medial veröffentlichten Todesfälle von Lastenträgern enthält. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher liegen. In den letzten Jahren wurden immer wieder in den Frühlingsmonaten Leichen von vermissten Kolbern gefunden, die durch die Schneeschmelze freigelegt worden waren.

Laut der Bilanz von Kolbarnews starben 59 Lastenträger im vergangenen Jahr infolge von extralegalen Hinrichtungen durch Sicherheitskräfte beider Staaten. So wurden 53 Kolber von iranischen Pasdaran erschossen, weitere sechs wurden von türkischen Grenzsoldaten getötet. Zwei Kolber gerieten in einen Schneesturm und sind mutmaßlich erfroren, vier weitere erlitten bei ihrer Tätigkeit einen tödlichen Unfall. In zwei Fällen geht die Initiative vom Tod durch Ertrinken aus.

Die gezielte Tötung von Kolbern nimmt seit Ende 2018 zu. Der damals für Sicherheitsangelegenheiten zuständige stellvertretende Innenminister des Iran, Hossein Zolfaghari, hatte eine verfassungsfeindliche Fatwa verkündet und im Grenzgebiet tätige Lastenträger als „Schmuggler“ bezeichnet, die „getötet werden müssen“. Das Drama der Kolber und Kesibkar (Grenzhändler), die aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Perspektiven und der hohen Arbeitslosigkeit unter schwierigsten Umständen ihr Leben riskieren, um wenigstens irgendein Einkommen für sich und ihre Familien zu erzielen, will seitdem nicht abreißen.

Gezielte Verarmung in Kurdistan

Das iranische Regime hat Ostkurdistan durch eine gezielte Wirtschaftspolitik verarmen lassen. Rojhilat stellt mittlerweile eine der ärmsten Regionen des Iran dar. Im Vergleich wurde in die Region am wenigsten investiert und die Entwicklung der kurdischen Gebiete absichtsvoll gebremst. Die Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie wurde verhindert, infolgedessen sind die Arbeitslosenzahlen am höchsten im Verhältnis zu den anderen Regionen im Iran.

130 Kolber durch Beschuss verletzt

Den Recherchen von Kolbarnews zufolge wurden 130 der 163 verletzten Kolber durch den Beschuss von iranischen und türkischen Soldaten verwundet. Elf weitere zogen sich infolge von Stürzen Verletzungen hinzu, sechs von ihnen wurden durch die Detonation von Landminen teils schwer verletzt. Fünf Kolber gerieten in Gefangenschaft von iranischen Grenzposten und wurden gefoltert, je zwei weitere erlitten Verletzungen durch Kälte und Verkehrsunfälle. Die Soldaten beider Staaten patrouillieren als regelrechte Todesschwadronen durch die Grenzgebiete, ohne irgendeine Rechenschaft für ihre Taten ablegen zu müssen.

Wer und was sind Kolber und Kesibkar?

Kolber oder „Kolbar“ setzt sich aus den kurdischen Begriffen – „kol“ – der Rücken und „bar“ - die Last zusammen. Die Kolber leben davon, Lasten über die gefährlichen Grenzen zu bringen. Dabei handelt es sich vor allem um Zigaretten, Handys, Decken, Haushaltswaren, Tee und selten auch Alkohol. Sie benutzen diese gefährlichen Wege, um einen Handel zwischen den verschiedenen kurdischen Regionen möglich zu machen. Die Waren werden in Handelszentren wie Teheran zu sehr hohen Preisen verkauft. Aber die Kolber, die ihr Leben für diese Arbeit aufs Spiel setzen, erhalten nur einen minimalen Tagelohn.

Die Kesibkar sind diejenigen, die von Stadt zu Stadt reisen, um für die Waren, die von den Kolbern über die Grenze gebracht wurden, Abnehmer zu finden. Es lassen sich unter den Kolbern und Kesibkar Menschen im Alter von 13 bis 70 Jahren finden. Es gibt welche mit Grundschul- und wieder andere mit Hochschulabschluss.