IHD: Celalettin Can muss freigelassen werden

Die Initiative „Freiheit für die kranken Gefangenen“ des Menschenrechtsvereins IHD hat die sofortige Freilassung von Celalettin Can gefordert. Der 67-Jährige leide an diversen Krankheiten, die relevant seien für eine Haftunfähigkeit.

Die Initiative „Freiheit für die kranken Gefangenen“ des Menschenrechtsvereins IHD hat die sofortige Freilassung von Celalettin Can gefordert. Der 67-Jährige leide an diversen Krankheiten, die relevant seien für eine Haftunfähigkeit, sagte die Menschenrechtlerin Nuray Çevirmen vom IHD-Zentralvorstand am Samstag in Ankara. Darüber hinaus stehe ihm das Recht auf offenen Vollzug zu – das ihm jedoch seitens der Vollzugsbehörden entzogen worden sei. Er hätte nichts bereut und weigere sich, in eine Zelle für „unparteiische“ Gefangene zu wechseln, habe es zur Begründung geheißen. „In der Türkei herrscht Willkür.“ Besonders dramatisch sei die Lage hinter den Gefängnismauern, betonte Çevirmen.

Celalettin Can ist Buchautor, ehemaliger Parlamentsabgeordnete und Sprecher der 78er-Initiative. Seit Ende August sitzt er wieder mal im Gefängnis – aktuell im berüchtigten Strafvollzugskomplex Marmara in Silivri bei Istanbul aufgrund eines rechtskräftigen Urteils von fünfzehn Monaten wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ im Zusammenhang mit einer Solidaritätsbotschaft an eine inzwischen verbotene pro-kurdische Zeitung. Çevirmen schilderte eine lange Liste an Krankheiten, an denen der frühere Krebspatient Can leidet, darunter wiederkehrende Magen- und Darmgeschwüre, Hypertonie, chronische Bronchitis. „Er musste schon einmal am Herzen operiert werden und benötigt auch jetzt wieder einen Eingriff. Der Gefängnisarzt ordnete die lebenswichtige Operation zwar auch an; beim rechtsmedizinischen Institut ist man aber offenbar anderer Meinung.“

Das Institut für Rechtsmedizin (ATK) ist eine dem Justizministerium unterstehende Einrichtung – der Umgang mit kranken Gefangenen dort steht charakteristisch für die Institutionalisierung von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Weitaus mehr Sorgen als die verweigerte Herz-OP mache sich der IHD aber über einen anderen Umstand, den Can im Marmara-Gefängnis ertragen müsse. Der Kurde aus Dersim leidet nach IHD-Angaben auch an einer gemischten Schlafapnoe, die unbehandelt tödlich enden kann.

Eine obstruktive Schlafapnoe entsteht, wenn die Muskulatur in den oberen Atemwegen erschlafft. Dadurch verengt sich der Atemweg im Rachenbereich oder blockiert sogar ganz, wodurch beim Ein- und Ausatmen laute Schnarchgeräusche entstehen. Durch diese Atmungsstörung wird der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Eine zentrale Schlafapnoe tritt auf, wenn das Gehirn während des Schlafs keine Steuer-Signale an die Atemmuskulatur mehr sendet. Obwohl die Atemwege offenbleiben, kommt es zu Atemaussetzern. Und bei einer gemischten Schlafapnoe liegt eine Kombination von zentraler und obstruktiver Schlafapnoe vor.

Nach Atemaussetzer gestürzt

Nuray Çevirmen schilderte im weiteren Verlauf: „Celalettin Can ist auf spezielle Geräte und Masken angewiesen, für eine sogenannte CPAP-Therapie. Diese Instrumente müssten nicht neu angeschafft werden, da er sie bereits besitzt. Doch weder das CPAP-Gerät noch die Maske werden ihm ausgehändigt. Am 29. September geschah folgendes: Celalettin Can hatte einen Atemaussetzer. Nachdem sein Gehirn ein Aufwachsignal sendete, um ein Ersticken im Schlaf zu verhindern, wurde er wach. Dann warf ihn allerdings eine um. Während er stürzte, stieß er mit dem Kopf gegen Metallstreben am Bett. Als er am nächsten Morgen auf der Krankenstation untersucht wurde, reagierten die Ärzte seiner Auffassung nach panikartig. Auskunft über den Zustand seiner körperlichen Verfassung machten die Mediziner nicht.“ Can müsse sofort freikommen, verlangt der IHD, oder in den offenen Vollzug verlegt werden.

Wer ist Celalettin Can?

Celalettin Can stammt aus der nordkurdischen Provinz Dersim und war bis Anfang der 80er Jahre Vorsitzender der Istanbuler Sektion der Föderation der Revolutionären Jugend der Türkei (tr. Türkiye Devrimci Gençlik Dernekleri Federasyonu, kurz Dev-Genç). Nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 saß er neunzehn Jahre und neun Monate im Gefängnis, sechs davon in einer Einzelzelle, und wurde schwer gefoltert.

Zwei Jahre nach seiner Haftentlassung gründete Can im Jahr 2001 mit der politischen Linken die Initiative der 78er. Unter diesem Namen versammeln sich kurdische und türkische Intellektuelle, Journalist:innen und Schriftsteller:innen, die sich zur politischen Generation der „78er“ zählen. Diese Generation wurde fast vollständig vom türkischen Militärregime, das sich 1980 mit Unterstützung der NATO an die Macht putschte, ausgelöscht. Die Initiative verfolgt eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Militärdiktatur und die Rehabilitation aller damals Verfolgten.

Verurteilt wurde Can im April 2019 wegen Verbreitung von Propaganda für eine „terroristische“ Organisation. Grund ist seine Teilnahme an der Solidaritätskampagne „Bereitschaftsjournalismus“ der Özgür Gündem. In ihrem Einsatz für die Pressefreiheit in der Türkei übernahmen Handelnde aus der Zivilgesellschaft 2016 für jeweils einen Tag symbolisch den Posten der Chefredakteurin bzw. des Chefredakteurs der pro-kurdischen Zeitung, die noch im selben Jahr per staatlichem Notstandsdekret verboten wurde. Das Blatt war eines der wenigen in der Türkei, die ausführlich über die Folgen des Krieges der AKP-geführten Regierung in den kurdischen Siedlungsgebieten berichtete.

Celalettin Can hatte damals ebenfalls für 24 Stunden die Redaktion von Özgür Gündem leiten sollen. Da er aber beruflich verhindert war, hatte er der in Istanbul angesiedelten Redaktion von Amed (tr. Diyarbakir) aus lediglich eine Solidaritätsbotschaft geschickt. Die türkische Justiz befand im späteren Prozess dennoch, dass er damit wie seine sechs Mitangeklagten zum Ziel gehabt hätte, „Gewalt durch die PKK zu legitimieren und/oder deren gewalttätige Handlungen und Methoden zu fördern“. Das Urteil einer Istanbuler Strafkammer wurde im vergangenen August vom Kassationshof als oberstes Berufungsgericht der Türkei bestätigt.