Der Menschenrechtsverein IHD ist besorgt über den Gesundheitszustand des politischen Gefangenen Sıddık Güler. Der seit drei Jahrzehnten inhaftierte Kurde wird von der Organisation auf der Liste der „schwerkranken Gefangenen“ in der Türkei geführt; zusätzlich zu altersbedingten Problemen – Güler ist 87 Jahre alt – leidet er unter multiplen Erkrankungen. Für die türkische Justiz offenbar kein Grund, ihm ein restliches Leben in Freiheit, Frieden und Würde zu gewähren.
Laut der Menschenrechtlerin Nuray Çevirmen, die zum Exekutivrat des IHD gehört und die Situation Gülers am Sonnabend in Ankara in den Fokus einer Kundgebung der vereinseigenen Initiative „Freiheit für die kranken Gefangenen“ rückte, ist die Liste der Krankheiten des Senioren lang: als Herzpatient überlebte er bereits zwei Infarkte, habe rheumatoide Arthritis, ein eingeschränktes Seh- und Hörvermögen, Bluthochdruck und chronische Bronchitis. „Sıddık Güler sitzt im Rollstuhl und ist vollständig auf die Hilfe seiner Mitgefangenen angewiesen“, betonte Çevirmen. Seine ohnehin schon dramatische Verfassung verschlechtere sich zusehends, da er mittlerweile auch an einer Alzheimer-Demenz leide, eine angemessene Behandlung seiner Erkrankungen in Haft jedoch nicht erfolge.
Sıddık Güler stammt aus einem Dorf in der kurdischen Stadt Bismîl, die zur Provinz Amed (tr. Diyarbakır) gehört. 1994 wurde er dort festgenommen und von einem der berüchtigten Staatssicherheitsgerichte (DGM) in einem Willkürprozess zu lebenslanger Haft verurteilt – wegen des Vorwurfs der „Zerstörung der staatlichen Einheit der Türkei“. Aktuell sitzt Güler in einer Strafanstalt vom „Typ R“ in Izmir-Menemen ein. Es handelt sich um eine geschlossene Vollzugsanstalt für Frauen, Männer und Kinder mit körperlicher oder seelischer Behinderung, die Abkürzung R steht für „Rehabilitation“. Nach Angaben von Nuray Çevirmen sei Güler vor einiger Zeit vom Institut für Rechtsmedizin untersucht worden. Hintergrund war ein Antrag seiner Verteidigung auf Haftunfähigkeit und die Aussetzung seiner Reststrafe. „Obwohl seit der Begutachtung Gülers zwei Monate vergangenen sind, hat die Gerichtsmedizin noch immer nicht ihren Bericht vorgelegt.“
Familienfoto im Knast: Sıddık Güler und seine Töchter (c) Ayşe Güler
Çevirmen kritisiert den Umgang türkischer Justizbehörden mit Sıddık Güler und allen anderen politischen Gefangenen, insbesondere den kranken, als entwürdigend. Rund 1.500 kranke Gefangene sind dem IHD derzeit bekannt, 651 von ihnen gelten als schwer krank. In ihren Fällen sei die Lage äußerst gravierend, auch bei Güler. „Er vergisst, zu trinken und Nahrung zu sich zu nehmen. Daher muss der Vollzug von Sıddık Güler umgehend ausgesetzt werden. Selbst in einem Rehabilitationsgefängnis ist der Verbleib in Haft keine Lösung, dafür ist der 87-Jährige zu alt und seine Krankheiten sind zu fortgeschritten. Er muss so schnell wie möglich freikommen, andernfalls wird er im Gefängnis sterben.“