Hidir Sabun: „Wir müssen noch viel lauter werden“

Die menschenunwürdigen Bedingungen in türkischen Gefängnissen haben sich mit der Pandemie weiter verschlechtert. Hidir Sabun engagiert sich als Angehöriger eines politischen Gefangenen in der Solidaritätsinitiative TDI.

Dass die Rechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen in den letzten beiden Jahren aufgrund der Pandemie stark zugenommen haben, ist ein Fakt, der zivilgesellschaftlichen Organisationen und demokratischen Einrichtungen häufig benannt worden ist. Wenn heute über menschenunwürdige Haftbedingungen gesprochen wird, geht es auch darum, dass die Gefangenen in großem Ausmaß isoliert werden. Das spricht auch Hidir Sabur als Sprecher der Initiative „Solidarität mit den Gefangenen“ (Tutsaklarla Dayanışma İnisiyatifi, TDİ) gegenüber ANF als erstes an: Die Pandemie hat den Boden für Rechtsverletzungen und Willkürmaßnahmen der Vollzugsleitungen bereitet.

Repression drinnen und draußen“

Sabur sagt, dass den Gefangenen einhergehend mit der Pandemie zahlreiche Rechte genommen worden sind. Er weist außerdem auf die Repression gegen die Gefangenensolidarität außerhalb der Haftanstalten hin: „Früher gab es offene Besuche [ohne Trennscheibe], die gibt es nicht mehr. Auch das Recht auf Kommunikation untereinander ist abgeschafft worden, ebenso das Recht auf Zeitungen, Zeitschriften und alles andere. Wir haben die TDI damals gegründet, um gegen den Zwang zur Einheitskleidung vorzugehen. Dafür sind wir mit acht verschiedenen Institutionen zusammengekommen, um irgendetwas zu unternehmen. Inzwischen gibt es überall verschiedene Rechtsverletzungen und wir versuchen, mit den Gefangenen solidarisch zu sein. Ende vergangenen Jahres kamen innerhalb kurzer Zeit acht Leichen aus den Gefängnissen. Aufgrund der sich überstürzenden Todesfälle haben wir eine Presseerklärung abgegeben und gesagt: Die Strafhäuser dürfen nicht zu Todeshäusern werden. Bei dieser Kundgebung sind zwölf von uns festgenommen worden, die Verfahren dauern noch an. Es gibt draußen eine genau so massive Repression wie drinnen.“

Kampagne gegen Gesinnungsjustiz

Zu den Änderungen im Vollzugsgesetz erklärt Sabur: „Das Vollzugsgesetz Nr. 5275 besagt, dass unabhängig von Religion, Sprache, Herkunft und politischer Einstellung alle vor dem Gesetz gleich sind. Im Zuge der Pandemie sind jedoch knapp 150.000 Gefangene freigelassen worden. Darunter waren Mörder, Diebe und alle Arten von Verbrechern. Unsere Gefangenen jedoch, also die politischen Gefangenen, wurden davon ausgenommen. Und nicht nur das, es wurde ein Ausschuss eingerichtet, um sie länger in Haft zu halten. Unsere Angehörigen können auch nach dreißig Jahren Gefängnis nur entlassen werden, wenn dieser Ausschuss ihnen eine ,gute Führung' bescheinigt. Deshalb sitzen viele Gefangene auch nach Vollendung ihrer Strafe weiter ein.“

Die TDI hat daraufhin eine Kampagne gegen die Gesinnungsjustiz gestartet. Sabur sagt, dass diese Aktivitäten sehr wichtig sind, sich jedoch viel mehr Menschen daran beteiligen müssten. Viele Angehörige von politischen Gefangenen hätten Angst davor, aufgrund ihres Engagements selbst verhaftet zu werden. Sabur und seine Mitstreiter:innen von der TDI suchen das Gespräch mit ihnen, um die Situation gemeinsam zu bewältigen und Lösungen zu finden: „Wir laden sie zum Frühstück oder zu Versammlungen ein und sprechen darüber, was wir tun können. Wir müssen jedoch noch viel lauter werden, denn wir alle können jederzeit eine Todesmeldung aus dem Gefängnis erhalten.“

Rechnungen für Strom und Wasser

Hidir Sabur hat selbst Angehörige im Gefängnis. Er weist auf ein weiteres aktuelles Problem im Strafvollzug hin: „Früher haben wir beim Besuch Geld für die Gefangenen eingezahlt. Jetzt läuft das über die Bank. Wenn du 100 Lira einzahlst, werden davon 40 Lira Gebühren einbehalten. Außerdem müssen die Gefangenen für Strom und Wasser zahlen. Aufgrund der Preiserhöhungen wird in letzter Zeit eigentlich das gesamte für die Gefangenen eingezahlte Geld für diese Rechnungen einbehalten.“