Ein 24-jähriger Lastenträger aus Ostkurdistan ist in der nordkurdischen Provinz Colemêrg (türk. Hakkari) von türkischen Soldaten extralegal hingerichtet worden. Ein weiterer Kolber wurde verletzt. Bei dem Toten handelt es sich um Mohsin Ghasimi aus Koranê bei Ûrmiye (Urmia). Zwei Kugeln bohrten sich in sein Herz. Sein zwei Jahre jüngerer Begleiter und Bruder Mosleh Ghasimi liegt mit Schussverletzungen in einem Krankenhaus. Er wurde von zwei Projektilen ins Bein getroffen, schwebt aber nicht in Lebensgefahr.
Der versuchte Doppelmord durch Angehörige des türkischen Militärs ereignete sich nach Zeugenangaben am frühen Samstagmorgen um etwa 4 Uhr in der Gemeinde Bajêrgan (Esendere) im Kreis Gever (Yüksekova). Der Ort liegt im türkisch-iranischen Grenzgebiet, bis nach Ûrmiye sind es nur knapp fünfzig Kilometer. Laut Kamal Alizadeh, einem Verwandten der beiden Kolber, hatten Mohsin und Mosleh Ghasimi auf türkischer Seite der Grenze gerade ihre Waren abgegeben und ihre Rückkehr angetreten, als sie unter Beschuss gesetzt wurden. Beide Männer sind daraufhin in das staatliche Krankenhaus der Provinzhauptstadt Colemêrg gebracht worden, unklar ist allerdings, ob durch Militärs oder Zivilisten. Dort wurde aber nur noch der Tod des älteren der Brüder festgestellt. Mohsin Ghasimi hinterlässt Ehefrau und eine kleine Tochter.
Mosleh (l.) und Moshin Ghasimi | Quelle: Hengaw
Was geschieht in Colemêrg und Wan?
Seit Monaten ist in der benachbarten Provinz Wan bereits ein deutlicher Anstieg von extralegalen Hinrichtungen und versuchten Exekutionen durch Angehörige der türkischen Armee, hin und wieder auch durch iranische Pasdaran, zu beobachten. Mittlerweile kommt es auch in Colemêrg zu gezielten Tötungen. Erst am Freitag war ebenfalls in Bajêrgan ein 63 Jahre alter Bewohner der Gemeinde von Soldaten erschossen worden. Der Mann hatte nur kurz sein Haus verlassen wollen, um sein wenige Meter entfernt angebundenes Pferd in den Stall zu bringen, als er von einer Kugel in den Rücken getroffen wurde. Auch das Tier des Mannes wurde getroffen und verblutete.
Kurden erschießen erlaubt?
Die Erschießung von kurdischen Zivilisten im türkisch-iranischen Grenzgebiet wird weder in der Türkei noch in Iran geahndet. Die Tötung von Kolbern scheint von Teheran sogar erwünscht zu sein. Ende 2018 hatte der stellvertretende iranische Innenminister Hossein Zolfaghari Lastenträger und Grenzhändler als gleichwertig mit Terroristen bezeichnet und ihre Tötung gerechtfertigt. Seitdem haben die systematischen extralegalen Hinrichtungen zugenommen.
Was sind Kolber?
Der Begriff Kolber oder „Kolbar“ setzt sich aus den kurdischen Begriffen kol (Rücken) und bar (Last) zusammen. Die Kolber leben davon, Lasten über die gefährlichen Grenzen in Kurdistan zu bringen. Dabei handelt es sich vor allem um Zigaretten, Handys, Decken, Haushaltswaren, Tee und selten auch Alkohol. Sie benutzen diese gefährlichen Wege, um über den Handel zwischen Nord-, Süd- und Ostkurdistan ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Waren werden in Handelszentren wie Teheran zu sehr hohen Preisen verkauft. Die Kolber, die ihr Leben für diese Arbeit aufs Spiel setzen, erhalten nur einen minimalen Tagelohn.