Ein türkisches Gericht in Riha (tr. Urfa) hat vierzehn kurdische Zivilist:innen zu insgesamt fünfzig Jahren Gefängnis verurteilt. Es handelt sich um Personen, die vor mehr als zwei Jahren bei einer Operation als Reaktion auf eine Auseinandersetzung zwischen Guerillakämpfern und der Polizei festgenommen und von Sicherheitskräften gefoltert worden waren. Fotos, die damals publik wurden, machten sprachlos vor Entsetzen und Wut. Sie zeigten einen Teil der Betroffenen mit den Händen auf dem Rücken gefesselt auf dem Boden des Kommandopostens der Militärpolizei (Gendarmerie) liegend.
Auch Kinder von Massenfestnahmen betroffen
Rückblick: Am 18. Mai 2019 kam es in einem Haus im Wohnviertel Derto (Dergili) im Kreis Xelfetî (Halfeti) zu Auseinandersetzungen zwischen zwei HPG-Mitgliedern und einer polizeilichen Sondereinheit. Zwei Polizisten wurden verletzt, der stellvertretende Kommissar der Einheit kam ums Leben. Nachgerückte Militärs warfen Handgranaten in das Haus, durch die Explosionen starben die beiden Guerillakämpfer. Noch am selben Tag setzten Massenfestnahmen in Xelfetî und dem weiter nordöstlich gelegenen Kreis Hewenc (Bozova) ein, 51 Personen im Alter zwischen 13 und 70 Jahren wurden festgenommen. Bis zum 24. Mai wurden 22 der Betroffenen, darunter drei Minderjährige, freigelassen. Die Erwachsenen erhielten Auflagen.
Kollektivstrafe gegen kurdische Bevölkerung
Bei Verhören in der Gendarmerie-Wache und der Antiterrorpolizei wurden die Festgenommenen unter anderem mit Elektroschocks gefoltert und schwer misshandelt. Nach Informationen von Anwält:innen erlitten viele von ihnen Kopfverletzungen, Schnitte und Prellungen an Gesicht, Beinen und anderen Körperstellen. Nahezu alle Personen zogen sich aufgrund von Schlägen und Tritten Knochenbrüche zu, einige wiesen sogar Schädelfrakturen auf. Mehrere Betroffene berichteten zudem von Stromschlägen an den Genitalien. Ihre Mandant:innen seien wegen der erlittenen Gewalt nicht wiederzuerkennen, trotzdem werde ihnen eine ärztliche Behandlung verwehrt, beklagten die Anwält:innen. Die Freiheitliche Juristenvereinigung ÖHD sprach von einer „Kollektivstrafe gegen das kurdische Volk“.
Unter Folter gemacht Aussagen zurückgezogen
Dreizehn der Zivilist:innen wurden im Mai 2019 wegen des Verdachts der PKK-Mitgliedschaft verhaftet. Erst über ein Jahr später, im Juni 2020, begann der Prozess. Inzwischen hatte die Staatsanwaltschaft Urfa die Anklagepunkte erweitert und warf den Betroffenen neben Mitgliedschaft in einer vermeintlichen Terrororganisation auch Mord, schwere Körperverletzung, Leitung einer Terrororganisation und Untergrabung der Einheit und Integrität des Staates vor. Alle Angeklagten machten vor Gericht deutlich, dass sie nach ihrer Festnahme durch die Polizei und Sicherheitskräfte gefoltert wurden und vorgefertigte Aussagen unterschrieben haben. „Sie haben mir Zähne ausgeschlagen und Rippen gebrochen”, berichtete einer von ihnen. „Sie haben mich mit Elektroschocks im Genitalbereich gefoltert und kopfüber an den Füßen aufgehängt”, gab ein anderer an. „Ich habe unterschrieben, aber nichts davon, was dort steht, ist wahr”, sagten die Angeklagten.
50 Jahre und sechs Monate Haft für 14 Personen
Fünf Betroffene sind seit Verfahrensauftakt gegen Auflagen freigelassen worden. Gestern endete der Prozess mit Schuldsprüchen, zuvor kam es zu Protesten und Tumulten. Denn das Folter-Verfahren gegen mehrere Polizisten und Gendarmen ist weiter anhängig. Dennoch wertete das Gericht die unter Folter erpressten „Geständnisse” als Beweis und verurteilte Celal Ercan und Zeki Alakuş wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung bei einer terroritischen Vereinigung zu siebeneinhalb Jahren Haft und Mehmet Alakuş zu fünf Jahren. Die drei verbleiben weiterhin im Gefängnis. Celal Yıldırım, Fahrettin Alakuş, Cindi Zencirkıran, Ömer Gül und Vakkas Kılıç erhielten wegen „willentlicher und wissentlicher PKK-Unterstützung” Haftstrafen in Höhe von je dreieinhalb Jahren. Gleichzeitig wurde ihre Haftentlassung angeordnet. Gazeley Alakuş, Fatma Alakuş, Mehmet Hayri Çiftçi, Sariye Gümüş, Niyazi Gümüş und Ruken Deniz wurden ebenfalls wegen vermeintlicher Hilfe für die PKK zu je zwei Jahren und einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt. Die restlichen Angeklagten sind freigesprochen worden.