Am 5. Schwurgerichtshof in der nordkurdischen Provinzhauptstadt Riha (türk. Urfa) hat am Montag der Prozess gegen 24 Zivilisten begonnen, die nach dem Folterskandal der türkischen Polizei im Mai 2019 in Xelfetî (Halfeti) und der nahegelegenen Kreisstadt Hewenc (Bozova) festgenommen wurden. Die Anklage wirft ihnen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation” vor.
Rückblick: Am 18. Mai 2019 kam es in einem Haus im Viertel Derto (Dergili) zu Auseinandersetzungen zwischen zwei Guerillakämpfern und einer polizeilichen Sondereinheit. Zwei Polizisten wurden verletzt, der stellvertretende Kommissar der Einheit kam ums Leben. Hinzugerufene Militärs warfen Handgranaten in das Haus, durch die Explosionen starben die beiden HPG-Mitglieder. Daraufhin setzten Massenfestnahmen in mehreren Landkreisen der Provinz ein, allein in Xelfetî wurden 51 Personen im Alter zwischen 13 und 70 Jahren festgenommen und in der polizeilichen Antiterrorabteilung misshandelt. Auf Bildern, die kurz darauf veröffentlicht wurden, konnte beobachtet werden, wie die Gefangenen auf dem Boden des Kommandopostens der Militärpolizei (Gendarmerie) mit den Händen auf dem Rücken gefesselt liegen mussten.
Die Festgenommenen wurden unter anderem mit Elektroschocks gefoltert und schwer misshandelt. Nach Informationen von Anwälten erlitten viele von ihnen Kopfverletzungen, Schnitte und Prellungen an Gesicht, Beinen und anderen Körperstellen. Es wurde auch von Stromschlägen an den Genitalien berichtet. Die Freiheitliche Juristenvereinigung ÖHD sprach von einer „Kollektivstrafe gegen das kurdische Volk“. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International startete daraufhin eine Urgent Action.
Gegen insgesamt dreizehn der damals in Gewahrsam gefolterten Personen erging am 29. Mai des vergangenen Jahres Haftbefehl. Erst dreizehn Monate später wurde der Prozess gegen sie eröffnet. Da inzwischen ein anderer Richter für das Verfahren zuständig ist, dieser aber nicht anwesend war, fand eine kommissarische Vernehmung durch einen beauftragten Richter statt. Die Angeklagten waren nicht persönlich im Gerichtssaal anwesend, sondern wurden stattdessen aus dem T-Typ-Gefängnis in Riha über das Videokonferenzsystem SEGBIS in die Verhandlung eingebunden. Alle gaben an, unter Folter eine Beteiligung an den Auseinandersetzungen zugegeben zu haben, und zogen ihre Aussagen zurück. Das Gericht ordnete die Freilassung von Gazeley Alakuş, Fatma Alakuş, Sariye Gümüş und Niyazi Gümüş an. Zeki Alakuş, Celal Ercan, Cindi Zincirkıran, Celal Yıldırım, Mehmet Alakuş, Fahrettin Alakuş, Mustafa Kahraman, Abdullah Çiftçi und Besravi Atmaca bleiben in Haft. Der Prozess wird am 18. September 2020 fortgesetzt.