Flughafenasylverfahren: Armutszeugnis für Rechtsstaat
Die Zahl der Schutzsuchenden, die im Flughafenverfahren abgelehnt werden, steigt immer weiter. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion hervor.
Die Zahl der Schutzsuchenden, die im Flughafenverfahren abgelehnt werden, steigt immer weiter. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion hervor.
Auf einer Welle von rassistischen Pogromen und Brandanschlägen beschloss die Bundesregierung mit den Stimmen der SPD im Jahr 1993 die weitgehende Abschaffung des Rechts auf Asyl. Neben der Drittstaatenklausel wurde auch das Flughafenverfahren eingeführt, um die Einreise von Schutzsuchenden zu verhindern und ihre Zurückweisung zu erleichtern. Schutzsuchende aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“, darunter auch Länder wie Algerien und Marokko, oder mit „fehlenden oder gefälschten Reisedokumenten“, werden im exterritorialen Bereich auf den Flughäfen festgehalten und einem Schnellverfahren unterzogen. Diese Verfahren sind gekennzeichnet durch extrem verkürzte Fristen für Behörden (2 Tage), Betroffene (3 Tage) und Gerichte (2 Wochen). Für die Dauer des verkürzten Verfahrens werden die Schutzsuchenden in besonderen Aufnahmeeinrichtungen auf dem Flughafengelände gefangen gehalten. Ist keine schnelle Entscheidung möglich, dürfen die Betroffenen einreisen und ein normales Asylverfahren durchlaufen – bis dahin gelten sie rechtlich als noch nicht eingereist, obwohl sie sich auf deutschem Boden befinden. Nach einer Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ müssen die Betroffenen das Verfahren weiter in (faktischer) Haft betreiben, nach einer bestandskräftigen Ablehnung droht weitere Haft zur Durchsetzung der Einreiseverweigerung oder Zurückweisung.
Flughafenverfahren als Blaupause für Verfahren an den Grenzen
Jährlich finden etwas unter Tausend Flughafenverfahren statt. Diese Art der Verfahren stellt also nur einen Bruchteil der Asylverfahren dar. Neben der Relevanz im Einzelfalls sind sie jedoch die Vorlage für der unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft geplanten „schnellen Vorprüfungen“ an den EU-Außengrenzen, bei denen nach Ansicht der EU-Staaten „offensichtlich unbegründete“ Asylanträge herausgefiltert und die Betroffenen zurückgewiesen werden sollen. Dazu ist eine Internierung der Schutzsuchenden für die Dauer der „Vorprüfung“ notwendig. Ein Verfahren, das stark an die katastrophalen Hotspots auf den griechischen Inseln erinnert. Die hohen Ablehnungsquoten im Flughafenverfahren sind ein übles Vorzeichen für solche geplanten Vorprüfungen an den Außengrenzen.
„Schutzsuchende sind keine Schwerverbrecher“
Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, kommentiert: „Vorschläge der Bundesregierung zu Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen erinnern an die Konstruktion der deutschen Flughafenverfahren: In kurzer Zeit sollen offensichtlich unbegründete Asylanträge erkannt und die Betroffenen an der Einreise gehindert und zurückgewiesen werden. Die vorliegenden Zahlen lassen vermuten, dass in solch beschleunigten Grenzverfahren der Anteil der angeblich unbegründeten Fälle deutlich in die Höhe gehen wird. Denn faire Asylprüfungen sind unter solchem Zeitdruck und den Bedingungen faktischer Haft nicht möglich. Die geplanten Vorprüfungen an den EU-Außengrenzen müssen unbedingt verhindert werden. Schutzsuchende sind keine Schwerverbrecher, die man einfach mal so in Haft nehmen darf, sondern im Gegenteil häufig traumatisierte und besonders verletzliche Menschen. Will die EU tatsächlich das Signal in die Welt senden, dass man Schutzsuchende erst einmal in Haft nehmen sollte?“
49 Prozent Ablehnungsquote im Flughafenverfahren
2019 hat es 489 neu eingeleitete Asyl-Flughafenverfahren gegeben. 240 von ihnen wurden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Die Ablehnungen haben in den vergangenen sieben Jahren deutlich zugelegt. So stieg ihre Zahl von 2013 bis 2019 von 5,1 Prozent auf 49 Prozent. Die bereinigten Schutzquoten weichen bei wichtigen Herkunftsstaaten massiv ab. So lag die bereinigte Schutzquote bei Asylsuchenden aus dem Irak im Frankfurter Flughafenverfahren bei 18,3 Prozent, während sie im Bundesdurchschnitt 51,8 Prozent beträgt, bei Afghanistan bei 50, statt 63,1 Prozent, beim Iran bei 16,2 statt 28,2 Prozent, bei Nigeria bei 4,1 statt 14,5 Prozent und bei der Türkei bei 30,2 statt 52,7 Prozent. Der Anteil der Schutzsuchenden, die bereits am Flughafen abgewiesen werden, ist auch in diesem Jahr weiter angestiegen. Bei insgesamt 88 Flughafenverfahren in den ersten sechs Monaten des Jahres wurden 50 Anträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt und damit mehr als die Hälfte.
Das deutet darauf hin, dass die Schnellverfahren zu vermehrten Ablehnungen führen und gewissenhafte Aufklärung verhindern. Traumatisierte werden bei der Ankunft interniert und unvorbereitet ins Verfahren geworfen. Jelpke: „Dass es im ersten Halbjahr 2020 noch einmal mehr Ablehnungen im Flughafenverfahren gegeben hat als bisher schon, ist höchst alarmierend. Für mich ist das ein klares Indiz dafür, dass faire Asylprüfungen in beschleunigten Grenzverfahren unter Haftbedingungen nicht möglich sind.“
Jelpke: „Kurzer Prozess im Flughafenverfahren“
Jelpke weiter: „Im Flughafenverfahren wird mit Asylsuchenden sprichwörtlich kurzer Prozess gemacht. Der enorme Zeitdruck und die faktischen Haftbedingungen sind für Schutzsuchende, von denen viele traumatisiert sind, eine Zumutung und für den Rechtsstaat ein Armutszeugnis. Faire Asylprüfungen sind unter diesen Bedingungen nicht möglich, auch die gerichtliche Überprüfung ist erheblich eingeschränkt. Schutzsuchende brauchen eine Ruhephase und kompetente Beratung, bevor sie angehört werden, um ihre Fluchtgründe umfassend vortragen zu können, im Flughafenverfahren findet die Anhörung innerhalb von zwei Tagen statt. Dieses Sonderasylverfahren aus dem Jahr 1993 gehört ersatzlos abgeschafft und darf nicht als Standard-Modell einer Vorprüfung an den Außengrenzen auf EU-Ebene übertragen werden.“