Systematische Missachtung gesundheitlicher und rechtlicher Standards
Der DEM-Abgeordnete Cengiz Çiçek hat eine parlamentarische Anfrage an Justizminister Yılmaz Tunç gestellt. Darin thematisiert er die gesundheitliche Situation des schwer kranken politischen Gefangenen Soydan Akay, der seit über 30 Jahren inhaftiert ist und derzeit im Hochsicherheitsgefängnis Marmara unter strengen Isolationsbedingungen festgehalten wird.
Anlass der Anfrage ist ein medizinischer Widerspruch: Obwohl Akay laut externen Ärzt:innen einen Herzinfarkt erlitten haben soll, wurde ihm im Gefängniskrankenhaus lediglich Bluthochdruck attestiert. Dies wirft aus Sicht des Abgeordneten ernste Fragen zur medizinischen Versorgung und zur Transparenz in Haftanstalten auf.
Systematische Missachtung gesundheitlicher und rechtlicher Standards?
In seiner Begründung verweist Çiçek auf zahlreiche Berichte über systematische Menschenrechtsverletzungen gegenüber kranken Gefangenen. Akay werde trotz schwerer Erkrankungen – darunter Prostatakrebs, Hepatitis B und Herzprobleme – seit seiner Verlegung in das Marmara-Gefängnis in Silivri im Jahr 2018 in Einzelhaft gehalten, obwohl er nicht zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Aussicht auf Bewährung verurteilt wurde. Dies stelle eine Form der „Isolationsfolter“ dar, so Çiçek.
Zudem wurde Akays eigentlich fällige Entlassung im August 2023 mittlerweile zum vierten Mal durch den Beobachtungsausschuss der Vollzugsanstalt verweigert. Kritiker:innen sehen darin eine Aushöhlung richterlicher Unabhängigkeit zugunsten administrativer Gremien mit politischer Schlagseite.
Fragen an das Justizministerium
In seiner Anfrage fordert Çiçek Antworten auf folgende Punkte:
· Warum wurde bei Akay trotz der Diagnose Herzinfarkt durch externe Ärzt:innen im Gefängnis nur von Bluthochdruck gesprochen? Wie erklärt sich dieser medizinische Widerspruch?
· Wie ist der aktuelle Gesundheitszustand Akays, und wird die medizinische Behandlung angemessen durchgeführt?
· Warum wird Akay weiterhin in Einzelhaft gehalten? Gibt es rechtliche oder sicherheitsrelevante Gründe für diese Maßnahme?
· Wie bewertet das Ministerium die Praxis der Entlassungsverweigerung durch Kontrollausschüsse der Gefängnisse, die sich aus dem Strafvollzugspersonal zusammensetzen und gravierende juristische Befugnisse übernehmen?
· Ist geplant, die Struktur oder Befugnisse dieser Kommissionen zu überarbeiten oder ihre Arbeit gesetzlich neu zu regeln?
· Wird es Maßnahmen geben, um unabhängige und objektive Kontrollen der Gesundheitsversorgung in Gefängnissen – insbesondere in Marmara – zu ermöglichen?
Politische Dimension
Mit der Anfrage wird einmal mehr ein Grundproblem des türkischen Justizsystems beleuchtet: Die Vereinheitlichung des Strafvollzugs und die mangelnde Kontrolle über administrative Willkür. Die DEM-Partei fordert seit Langem Reformen bei der Behandlung von politischen Gefangenen, insbesondere von schwer kranken Inhaftierten, deren Zustand sich unter den Bedingungen der Haft drastisch verschlechtert.
Foto: „F-Sitzung“ für Soydan Akay im August 2023 in Istanbul. Die Aktionen des Menschenrechtsvereins IHD, die ihren Namen in Anlehnung an das türkische Isolationshaftsystem Typ F erhielten, finden wöchentlich statt, um auf die Situation von kranken Gefangenen aufmerksam zu machen © Pirha