Der Umgang mit dem schwerkranken politischen Gefangenen Soydan Akay steht exemplarisch für ein repressives Strafsystem, das Kritiker:innen als „Feindstrafrecht“ bezeichnen – ein System, das besonders gegen Kurd:innen zur Anwendung kommt. Trotz eines Herzinfarkts wurde Akay in der Krankenstation des Marmara-Gefängnisses lediglich eine „Blutdruckerhöhung“ attestiert und er zurück in seine Zelle geschickt.
Soydan Akay wurde 1993, im Alter von 22 Jahren, verhaftet, schwer gefoltert und von einem Staatssicherheitsgericht (DGM, mittlerweile abgeschafft) wegen dem Vorwurf, er sei der PKK-Verantwortliche für die Ägäis-Region, zu lebenslanger Haft verurteilt. Der schwerkranke Gefangene befindet sich aktuell im Hochsicherheitsgefängnis Marmara Nr. 9 in Silivri bei Istanbul. Bereits im Juni 2018 wurde bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert. Hinzu kommen weitere schwerwiegende Erkrankungen wie Rheuma, Hepatitis B und Herzprobleme.
Herzinfarkt nachgewiesen – aber ignoriert?
Allein im zurückliegenden Monat wurde Akay siebenmal in das Gefängniskrankenhaus eingeliefert, drei dieser Einlieferungen waren als „Notfall“ registriert. Die Diagnose lautete wiederholt auf Herzrhythmusstörungen, Infektionen und Bluthochdruck. Letztmalig wurde er am 26. März wegen starken Beschwerden beim medizinischen Personal des Gefängnisses vorstellig. Trotz offensichtlicher Symptome eines Herzinfarktes wurde ihm lediglich erhöhter Blutdruck attestiert – und er wurde zurück in seine Einzelzelle verlegt.
Akays Familienangehörige wurden durch seinen Gesundheitszustand alarmiert und ließen die medizinischen Unterlagen durch externe Ärzt:innen prüfen. Diese kamen zu dem Schluss: Akay hatte tatsächlich einen Herzinfarkt erlitten. Ob die Gefängnisärzt:innen dies nicht erkannt oder ignoriert haben, ist unklar.
Akays Rechtsanwältin Esra Bilen © MA
Verweigerung der Entlassung
Seit 1993 ist der politische Gefangene und Buchautor Soydan Akay in der Türkei im Gefängnis – nach Silivri wurde er 2018 verlegt. Obwohl er seine reguläre Haftzeit von 30 Jahren bereits verbüßt hat, kommt er nicht frei. Seine Entlassung wird vom sogenannten Beobachtungsausschuss der Vollzugsanstalt systematisch blockiert. Seine Anwältin Esra Bilen spricht von „willkürlichen und unbegründeten Entscheidungen“, die einer strafrechtlichen Verfolgung aus politischen Gründen gleichkämen.
Das werde auch daran deutlich, dass Akay seit seiner Verlegung nach Silivri in strenger „Absonderung” von anderen Inhaftierten in einer Einzelzelle gehalten wird. Ihm werden sportliche Aktivitäten und soziale Kontakte im Gefängnis untersagt, er erhält keine Zeitungen oder Zeitschriften, Briefe und auch ein von ihm in Haft verfasstes Buch werden ihm wegen „Sicherheitsbedenken” nicht ausgehändigt – auf Betreiben des Justizministeriums. Ein Umstand, den seine Anwältin als unmenschlich und feindselig bezeichnet. Selbst Anwaltsbesuche werden unter Kameraüberwachung dokumentiert – ein Verstoß gegen das Recht auf vertrauliche Rechtsberatung.
Einzelfall oder System?
Die Zahlen deuten auf ein strukturelles Problem hin: Nach Angaben des Justizministeriums starben 2024 über 700 Menschen hinter Gittern. Den Daten des Menschenrechtsvereins IHD zufolge waren mehr als 50 von ihnen kranke beziehungsweise schwer kranke Gefangene.
Über 8.000 Entlassungsverweigerungen
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Bewertung von Häftlingen durch Beobachtungsausschüsse der jeweiligen Justizvollzugsanstalt im Jahr 2021 wird zahlreichen politischen Gefangenen die Entlassung verweigert. Allein im zurückliegenden Jahr wurde laut dem Justizministerium die Haftentlassung von 8.521 Gefangenen wegen einer vermeintlich negativen Sozialprognose verhindert – oft ohne objektive Grundlage.
Ein Verstoß gegen die Menschenwürde
„Dass ein krebskranker, mehrfach erkrankter Gefangener trotz klarer medizinischer Notlage zurück in eine Einzelzelle geschickt wird, ist ein Akt der Grausamkeit“, sagt Esra Bilen. „Die Behandlung von Soydan Akay steht exemplarisch für die feindliche Haltung des türkischen Staates gegenüber politischen Gefangenen – und für eine systematische Missachtung der Menschenwürde.“