Seit 27 Jahren ist der in Gimgim (türk. Varto) in Mûş geborene Autor und Friedensaktivist Soydan Akay in der Türkei im Gefängnis. Als junger Mann arbeitete er in einem Buchladen in der westtürkischen Küstenstadt Izmir und engagierte sich für die Rechte der Kurd*innen, indem er sich an Demonstrationen beteiligte und Kulturveranstaltungen organisierte. 1993, im Alter von 22 Jahren, wurde er verhaftet, schwer gefoltert und von einem Staatssicherheitsgericht (DGM, mittlerweile abgeschafft) wegen dem Vorwurf, er sei der PKK-Verantwortliche für die Ägäis-Region, zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Aufenthalten in verschiedenen Gefängnissen wurde Soydan Akay im April 2018 aus dem Hochsicherheitsgefängnis Maltepe im gleichnamigen Istanbuler Stadtteil in den westlich der Bosporusmetropole gelegenen Strafvollzugskomplex Silivri verlegt. Seitdem wird der heute fast 49-Jährige in strenger „Absonderung” von anderen Inhaftierten gehalten. Ihm werden sportliche Aktivitäten und soziale Kontakte im Gefängnis untersagt, er erhält keine Zeitungen oder Zeitschriften, Briefe und auch ein von ihm in Haft verfasstes Buch werden ihm wegen „Sicherheitsbedenken” nicht ausgehändigt – auf Betreiben des Justizministeriums.
Verweigerung von Rechten aus Protest gegen Willkür
Aus Protest gegen die Repression und Behandlung nach Feindstrafrecht weigert sich Soydan Akay seit einem halben Jahr, von seinem Besuchsrecht und dem Recht auf Telefonkontakt nach außen Gebrauch zu machen. Seine Angehörigen sind äußerst besorgt, da Akay, der bereits an Hepatitis und rheumatoider Arthritis leidet, vor zwei Jahren zudem schwer an Krebs erkrankt ist und viel zu lange keine angemessene Behandlung erhielt. Erst seit März dieses Jahres wird er zur Bestrahlung in das Krankenhaus Okmeydani gebracht. Da eine Therapie gegen Krebs sich nicht nur auf die Tumorzellen auswirkt, sondern auch die Immunabwehr beeinflusst, ist Soydan Akay anfälliger für Infektionen durch Krankheitserreger wie beispielsweise das neuartige Coronavirus. Vor diesem Hintergrund stellten seine Anwälte bereits mehrmals entsprechende Haftentlassungsanträge, die von den türkischen Justizbehörden bisher ignoriert werden. Angehörige von Soydan Akay versuchen nun eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen, um die Freilassung des schwerkranken Gefangenen zu erwirken.
Warum wurde Soydan Akay nach Silivri verlegt?
Die Verlegung Akays aus dem Gefängnis in Maltepe nach Silivri ist im Grunde nichts anderes als ein Piratenakt und stellt eine besonders perfide Form der subtilen Rache dar: Ein übereifriger Gefängnisdirektor, der Geschmack findet an seinem kriminellen, harten, gewaltsamen, willkürlichen und groben Führungsstil, nimmt sich vor, die Gefangenen aus PKK-Verfahren zur Zusammenarbeit als „Überläufer” zu bewegen. Er scheitert und sucht sich einen Schuldigen – Soydan Akay. Dieser ist beliebt bei den politischen Gefangenen, ob jung oder alt. Seit seiner Inhaftierung widmet er sich bereits der politischen Bildungsarbeit von Mitgefangenen, in seinem Buch „Çöl Çiçekleri“ (Blumen der Wüste) beleuchtet er die Geschichte der Juden von Anbeginn bis zum 19. Jahrhundert aus sozio-kultureller Hinsicht. Dabei nähert sich Soydan Akay der jüdischen Geschichte frei von Vorurteilen, frei von religiösen Anschauungen und frei von kulturellen Kodierungen. Denn bereits in seiner Kindheit stellte er fest, dass im türkischen Sprachgebrauch Volksbezeichnungen zu Beleidigungen und Schmähungen degradiert wurden. Hiervon betroffen waren nicht nur die Kurden, sondern auch Juden, Armenier und Drusen, allesamt ungeliebte Völker in der islamisch geprägten Türkei. Die Enträtselung dieses Phänomens muss den Gefängnisdirektor tief getroffen haben. Weil er mit seinem Vorhaben scheiterte, PKK-Gefangene für die Interessen des Staates zu gewinnen, wandte sich der gekränkte Beamte an das Justizministerium und behauptete, Soydan Akay sei der Verantwortliche aller Strafgefangenen in der Türkei, die wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der kurdischen Arbeiterpartei in Haft sind, und sabotiere die Pläne des Direktors. So erwirkte er, dass Akay nach Silivri in Isolationshaft verlegt wird.
Veysel Akay: Im Widerstand gegen das Justizministerium
„Dass dem so ist, haben wir vor einigen Monaten nur durch mühsame Recherchen in Erfahrung bringen können“, sagt Soydan Akays Bruder Veysel. „Zwei Jahre lang zog ich von Behörde von Behörde, um in Erfahrung zu bringen, weshalb er es mit dieser par excellence umgesetzten Willkürjustiz zu tun hat. Es war buchstäblich ein Widerstand, den ich führte, auch gegen das Justizministerium. Am Ende erfuhr ich von der Gefängnisleitung in Silivri, dass es sich bei den Maßnahmen gegen Soydan Akay tatsächlich um Anweisungen des für die Justiz zuständigen Ministeriums dieses Staates handelt.“
Mitgefangene: Folter behördlich verfügt
Soydan Akays Mitgefangene in Silivri sind ebenfalls besorgt über seine gesundheitliche Situation. In einem Brief schildern sie: „Durch seine Vorerkrankungen ist unser Freund geschwächt und kraftlos. Er hat niemanden, der seinen Kopf stützt, ihm beim Wassertrinken hilft, oder ihm unter die Arme greift, wenn er aufstehen will. Wie soll er sich in dieser Verfassung ein hygienisches Umfeld zum Schutz vor der Pandemie schaffen? Seine Lage ist besorgniserregend, und trotz der Tatsache, dass die Maßnahmen gegen ihn keine rechtliche Grundlage haben (ohne Disziplinarverfahren darf nach türkischem Strafvollzugsrecht keine Isolationshaft angeordnet werden, Anm. d. Red.), werden unsere Bemühungen, ein Ende der ihm auferlegten Zustände zu erreichen, ignoriert. Wir befürchten, dass die behördliche Verfügung, die Folter an Soydan Akay aufrechtzuerhalten, schlimme Folgen haben wird. Wir möchten darauf hinweisen, dass alle Personen, die diese Praxis beharrlich fortsetzen, die Verantwortung tragen werden, sollte unserem Freund etwas geschehen. Wir möchten die Öffentlichkeit dazu sensibilisieren, dass sie ihre Stimme für Soydan Akay erhebt und sich solidarisch zeigt.“
Soydan Akay in Beethovens Fidelio
Am 1. Januar wurde in Bonn das Beethovenjahr mit der politischen Oper Fidelio eröffnet. Das Werk steht in der Tradition sogenannter Rettungsopern, die im Kontext der Französischen Revolution entstanden, für die sich Beethoven sehr interessierte. Der Komponist vertrat freiheitliche und demokratische Werte und setzte den Geist der Aufklärung und der Revolution unmittelbar in seine Musik um.
Diesen Geist griff der Regisseur Volker Lösch mit der Neuinszenierung von Beethovens einziger Oper auf, indem die Handlung in die Türkei verlegt wurde und damit Öffentlichkeit für die politischen Gefangenen im Land geschaffen wurde. Mit der Inszenierung wurde unter anderem die Freilassung von Selahattin Demirtaş, Hozan Canê, Gönül Örs, Ahmet Altan und Soydan Akay gefordert.