Seit dem 12. August setzt der türkische Staat wieder auf die Totalisolation Abdullah Öcalans. An jenem Datum konnte der seit über 20 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer inhaftierte PKK-Gründer zum letzten Mal Besuch von seinem Bruder Mehmet Öcalan empfangen. Die letzte Konsultation mit seinem Rechtsbeistand fand am 7. August statt. Seitdem wurden jegliche Besuchsanträge entweder abgelehnt oder gar nicht erst beantwortet. Der kurdische Vordenker wird wieder von der Öffentlichkeit abgeschottet.
Wir hatten in Amed (Diyarbakir) am Rande einer Zusammenkunft der „Vereinten Kurdischen Frauenplattform“ (Platforma Yekitiya Jinên Kurd) die Gelegenheit, mit der Juristin und Menschenrechtlerin Eren Keskin über die Situation auf Imrali zu sprechen. Keskin, die Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD ist, war eine der zwölf Anwält*innen, die Öcalan nach seiner Verschleppung aus der griechischen Botschaft im kenianischen Nairobi in die Türkei vertreten haben. Sie sagt, dass im Inselgefängnis von Imrali vom ersten Tag an ein rechtswidriges System ohne legale Grundlage herrscht, das weder internationale Konventionen, noch das türkische Strafrecht respektiert. Die Isolation habe es von Beginn an gegeben, auch wenn sich von Zeit zu Zeit die Dimensionen veränderten. „Ich kann ganz klar sagen, dass das auf Imrali angewandte System in keinem anderen Gefängnis der Türkei umgesetzt wird“, erklärt Keskin.
Isolationshaft ist eine übliche und bekannte Methode der Weißen Folter. Unter diesem Begriff werden Methoden zusammengefasst, die für die Öffentlichkeit nicht so leicht als Folter erkennbar sind, jedoch die Psyche oder auch den Körper des Folteropfers angreifen und darauf abzielen, den Menschen als Person zu zerstören.
Disziplinarstrafen bilden formellen Rahmen für Isolation
„Wir sind gegen jegliche Form von Folter, zumal wir Verteidiger*innen der Menschenrechte sind. Im Fall von Abdullah Öcalan ist es nun mal so, dass sich die Isolation nicht auf eine Person beschränkt. Öcalan ist eine Leitfigur, seine Isolation wirkt sich auf die gesamte Gesellschaft aus. Im Zuge der sogenannten Friedensverhandlungen verfolgte der Staat andere Methoden. Menschen in Gefängnissen haben das Recht, Besuch von ihren Angehörigen und Anwält*innen zu erhalten. Aber auf Imrali kommt das Strafrecht nicht zur Anwendung. Öcalan wird als politische Geisel missbraucht. Als Menschenrechtsverteidiger*innen können wir das nicht akzeptieren. Die IHD-Zentrale hat unzählige Male mit Nachdruck ihre Forderung nach einem Ende der Isolation auf Imrali bekräftigt und sogar vorgeschlagen, Gespräche mit Öcalan zu führen. Bisher wurde auf keines unserer Anliegen positiv reagiert“, berichtet Keskin.
Gegen Öcalan und seine drei Mitgefangenen auf Imrali werden zudem regelmäßig willkürliche Sanktionen wie Disziplinarstrafen verhängt. Erst letzte Woche war bekannt geworden, dass die Imrali-Gefangenen am 21. Oktober wieder Disziplinarmaßnahmen unterworfen wurden. Laut Keskin handele es sich dabei um den formellen Rahmen dafür, Familienbesuche und Anwaltskonsultationen zu unterbinden um somit die Isolation aufrecht zu erhalten. „Wir alle wissen doch, dass für Maßnahmen wie diese keine rechtliche Grundlage existiert.“
Krieg für Wirtschaftskrise verantwortlich
Seit Gründung der Republik sei es gängige Praxis in der Türkei, im Zusammenhang mit der kurdischen Frage keine andere Methode als die der Gewalt anzuwenden, sagt Keskin. Stets sei die Politik des Krieges umgesetzt worden, auch wenn klar sei, dass dadurch keine Ergebnisse erzielt werden. „Die Ursache der Wirtschaftskrise in der Türkei ist der Krieg. Leider ist sich unsere Arbeiter*innenklasse nicht im Klaren darüber. Wenn eine Millionen Menschen mit der Parole auf die Straße gehen und rufen würden, dass sie keinen Krieg wollen und das Brot auf ihrem Tisch gestohlen wird, bekämen wir Frieden“, so Keskin. Das kurdische Problem könne nicht mit Gewaltpolitik gelöst werden. Dies sei deutlich geworden, als die Gesellschaft im Zuge des Friedensprozesses zwischen der Regierung und Öcalan kurzzeitig aufatmen konnte. „Es kam zu positiven Entwicklungen und die Menschen waren erleichtert. Das haben alle erkannt. Krieg bringe nichts als Zerstörung, als Verfechter*innen der Menschenrechte sei es ihre Pflicht, für Frieden einzutreten.
Keskin verweist darauf, dass die Türkei zwar einschlägige Antifolterkonventionen ratifizierte, allerdings nicht infrage gestellt wird, ob sich Ankara an die Übereinkommen hält. Berichte des europäischen Antifolterkomitees CPT gelangten kaum an die Öffentlichkeit. Das CPT als Institution des Europarats hat das uneingeschränkte Recht zur Untersuchung von Gefängnissen, Polizeiwachen, Flüchtlingslagern und psychologischen Kliniken in den Mitgliedsländern. Wenn es für erforderlich gehalten wird, darf das CPT eine Delegation in eine Einrichtung seiner Wahl schicken und Untersuchungen durchführen. Es ist die einzige Institution, welche die Macht hat, Abdullah Öcalan zu besuchen. Zuletzt besuchte eine CPT-Abordnung Imrali im April 2016. Der dazugehörige Bericht gelangte erst zwei Jahre später an die Öffentlichkeit, da die nach den Besuchen erstellten Berichte ohne Zustimmung der jeweiligen Regierungen nicht veröffentlicht werden dürfen.
Türkei an Verantwortung erinnern
Es müssten viel mehr Organisationen, die sich dem Kampf gegen Folter und andere Formen von Menschenrechtsverletzungen widmen, Delegationen nach Imrali entsenden, um die dortigen Zustände zu untersuchen und an die Öffentlichkeit bringen, fordert Keskin. Die türkische Regierung müsse an ihre Verantwortung erinnert werden, den ratifizierten Konventionen entsprechend zu handeln. „Wir setzen uns seit Beginn der Haft Öcalans auf Imrali gegen das dort herrschende System der Isolation ein. Selbstverständlich gilt das auch für die anderen Gefängnisse im Land. Unsere Gefängniskommission besucht die Haftanstalten und legt Berichte vor. Diesen Kampf werden wir solange fortsetzen, bis die Isolation beendet wird.“