„Befreit nicht mich, befreit euch selbst!“

Wer über ein entsprechendes Bewusstsein verfügt, kann sich besser schützen und auch in gefährlichen Situationen standhalten, erklärt die KJK und zitiert Abdullah Öcalan: „Befreit nicht mich, befreit euch selbst.“

Die Gemeinschaft der Frauen aus Kurdistan (Komalên Jinên Kurdistan, KJK) weist in einer Erklärung auf die erneute Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali hin.

In der Erklärung heißt es: „Die Isolation von Rebêr Apo [Abdullah Öcalan] wird von der faschistischen AKP-Regierung als politisches Druckmittel benutzt. Die Regierung unter Erdoğan will das kurdische Volk und die demokratische Öffentlichkeit dazu bringen, zu ihren schmutzigen Machenschaften zu schweigen. In einer Atmosphäre eines auf die Person eines Diktators zugeschnittenen Rechtssystems werden Rebêr Apo und die politischen Gefangenen als Geiseln gehalten. Rebêr Apo hat den Charakter des Staates durchschaut und misst daher der konjunkturellen Aufweichung oder Verhärtung dieser Politik keinen Wert bei.

Rebêr Apo wurde am 15. Februar 1999 durch einen internationalen Komplott auf die Gefängnisinsel Imrali verschleppt. Seit über zwanzig Jahren wird er in seiner Zelle isoliert. Die gesonderten Disziplinarstrafen, die zu verschiedenen Zeiten gegen ihn verhängt werden, zeugen von der Rachelust des türkischen Staates. Familien- und Anwaltsbesuche werden verboten, schriftliche und telefonische Kommunikation unterbunden, Bücher, Papier und Stifte nicht ausgehändigt. Eigentlich handelt es sich um eine Todesstrafe, die über einen langen Zeitraum hinweg vollstreckt wird. Isolation führt zu emotionaler und gedanklicher Vereinsamung. Rebêr Apo ist diese Politik bewusst. Er hat erklärt, dass er die Isolation zur Steigerung seiner Konzentration und Produktivität nutzt, weil er seinen Willen und sein Bewusstsein mit der Liebe zur Freiheit ausgestattet hat. Die gegen ihn gerichtete Isolationspolitik macht sich nach seinen Worten weniger auf Imrali bemerkbar, als auf ‚draußen‘, wo sich das ganze Leben in ein Gefangenenlager verwandelt hat.

Aus diesem Grund hat er auf jedes gegen seine Menschenwürde gerichtete Vorgehen des Staates reagiert, indem er noch produktiver geworden ist. Er hat seine Menschenwürde mit seinem freien Willen und Denken verteidigt. Das gleiche hat er der Gesellschaft ‚draußen‘, dem kurdischen Volk, den Frauen und allen, die sich für frei halten, vorgeschlagen. Wer über ein entsprechendes Bewusstsein verfügt, kann sich besser schützen und auch in gefährlichen Situationen standhalten. Rebêr Apo hat sich jedoch große Sorgen darüber gemacht, dass Millionen Menschen, denen dieses Bewusstsein fehlt, verloren gehen und kapitulieren. Daher hat er gesagt: ‚Anstatt mich zu retten, solltet ihr euch selbst retten. Befreit nicht mich, befreit euch selbst.‘

Freies Denken und Fühlen

Bei seiner Reaktion auf die schweren Haftbedingungen hat er an das Volk, die Gesellschaft und die Frauen gedacht. Er wollte den Anstoß dafür geben, dass die Menschen dasselbe machen. Er sagte, dass das freie Denken und Fühlen eine Antwort auf die Missachtung der Menschenwürde sein kann. Der Mensch dürfe sich nicht von seinem jeweiligen Aufenthaltsort abhängig machen und anketten lassen. Daher hat Rebêr Apo auch nie auf eine Verbesserung seiner eigenen Lebensbedingungen gedrängt, sondern eine Konzentration auf die eigene Organisierung und Befreiung der Menschen erwartet. Seine Haftbedingungen hat er nie thematisiert. Selbst wenn er nach seinem Gesundheitszustand gefragt wurde, hat er geantwortet, dass es ihm gut geht, solange es gute Entwicklungen gibt. Sein gesamtes Handeln war immer auf Freiheit und das wahre Leben ausgerichtet. Alles andere sind Einzelheiten, sagte er.

Wir wissen jedoch, dass die Haftbedingungen von Rebêr Apo eine systematische Folter bedeuten. Seine Gesundheit und seine Sicherheit sind bedroht. Wir haben es mit staatlichen Strukturen zu tun, die weder Ethik und Gewissen noch Gerechtigkeit und ein Rechtswesen kennen. Es handelt sich um einen Staat, der in der Hoffnung auf zwei bis drei Stimmen bei den Wahlen behauptet, dass der Kontakt zu den Verteidigern künftig erleichtert und die Haftbedingungen verbessert werden. Es ist ein Staat mit einer Doppelmaske, der wie ein Scharlatan ständig die Richtung wechselt und das Richtige als falsch und das Falsche als richtig darstellt. Daher hat er die Tore Imralis innerhalb kürzester Zeit wieder verschlossen, als durch den Druck des von Leyla Güven initiierten Hungerstreiks die Isolation durchbrochen wurde. Dieser Staat handelt in der Rolle eines Erpressers nach seinen jeweiligen Interessen. Aus diesem Grund werden gegen Abdullah Öcalan und die anderen Gefangenen auf Imrali Disziplinarstrafen in der ohnehin bestehenden Isolationshaft verhängt.

Welche Befehlsverweigerung?

Dass es neue Disziplinarstrafen gibt, hat das Verteidigerteam zufällig herausgefunden und öffentlich gemacht. Disziplinarmaßnahmen werden gegen Menschen angewendet, die den Befehl verweigern und sich nicht in die vorgesehenen Normen einfügen. Aber an welche Regeln des türkischen Staates haben sich Rebêr Apo und die anderen politischen Gefangenen schon gehalten, dass ihnen jetzt Befehlsverweigerung vorgeworfen wird? Es handelt sich um den Vordenker und die Militanten einer politischen Bewegung. Sie sind ohnehin Revolutionäre geworden, weil sie gegen den Staat rebelliert und seine Regeln abgelehnt haben. Was beinhalten dann diese Disziplinarstrafen? Sind Essen und Trinken gestrichen? Dürfen die Gefangenen nicht mehr krank werden? Dürfen sie nicht mehr denken und schlafen? Rebêr Apo und die anderen Gefangenen erhalten ohnehin keinen Besuch und dürfen auch nicht schriftlich kommunizieren. Wir sind der Meinung, dass die Öffentlichkeit das Recht hat zu erfahren, um welche Form der Bestrafung es sich handelt. Wir denken außerdem, dass Menschenrechtseinrichtungen, dem europäischen Antifolterkomitee CPT und dem Europarat zu diesem Thema eine Verantwortung zufällt, die sie zu erfüllen haben.“

Gerechtigkeit und ein freies Leben für alle

Die KJK-Erklärung endet mit dem Aufruf, die Isolation auf Imrali, die sich auf die gesamte Gesellschaft ausbreitet, zu durchbrechen: „Lasst uns für die Würde und das Gewissen der Menschheit das Recht auf Gerechtigkeit und ein freies Leben für alle verteidigen. Die kurdischen Frauen, ihre Freundinnen und Freunde sowie die demokratische Öffentlichkeit dürfen die aktuelle Situation nicht hinnehmen und müssen handeln. Die Freiheit von Rebêr Apo ist unsere Freiheit. Wir rufen zu erhöhter Aufmerksamkeit und gemeinsam organisierten Aktionen auf.“