Rechtsanwältin Newroz Uysal erzählt vom Gespräch mit Öcalan
Die Rechtsanwältin Newroz Uysal aus dem Verteidigerteam Abdullah Öcalans erzählt von dem Gespräch mit ihrem Mandanten auf der Gefängnisinsel Imrali.
Die Rechtsanwältin Newroz Uysal aus dem Verteidigerteam Abdullah Öcalans erzählt von dem Gespräch mit ihrem Mandanten auf der Gefängnisinsel Imrali.
Die Rechtsanwältin Newroz Uysal hat zusammen mit ihrem Kollegen Rezan Sarica am 2. Mai den PKK-Gründer Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali besucht. Es war das erste Mandantengespräch des Verteidigerteams Öcalan seit acht Jahren. Im ANF-Interview schildert sie die Begegnung.
Wie geht es Abdullah Öcalan gesundheitlich?
Er machte einen guten Eindruck, war guter Stimmung und bei Kräften. Auf unsere Fragen nach eventuellen gesundheitlichen Beschwerden ging er nicht weiter ein. Er sagte, dass er diese Frage in den Hintergrund gestellt habe. Er fühle sich jung, mental und geistig fühle er sich stark.
Was waren Ihre ersten Eindrücke der Begegnung?
Als wir nach der Durchsuchungsprozedur im Wartezimmer waren, war Herrn Öcalans Stimme aus dem Zimmer für Anwaltsgespräche deutlich zu hören. Wir gingen hinein und er begrüßte uns stehend. In der Hand hatte er den Text, den wir später veröffentlicht haben.
Es war das erste Gespräch seit acht Jahren, was für eine Prozedur hat stattgefunden?
Seit dem 21. Juni 2016 sind durchgehend vom Gericht rechtswidrige Verbotsverfügungen erlassen worden. Nach unserem Widerspruch vom 13. März 2019 hat das Schwurgericht Bursa das Verbot aufgehoben. Davon wurden wir am 22. April in Kenntnis gesetzt. Wir haben weiter Besuchsanträge gestellt und uns wurde mitgeteilt, dass zwei von vier Anwälten, die einen Besuchsantrag für den 2. Mai gestellt hatten, zugelassen worden sind. Als die beiden zugelassenen Anwälte sind wir nach Gemlik gefahren. Nach der Überfahrt zur Insel und der Durchsuchung haben wir um etwa 15 Uhr mit dem Gespräch begonnen. Es hat ungefähr eine Stunde gedauert. Während des Gesprächs konnten keine Dokumente ausgetauscht werden und wir hatten auch nicht die Möglichkeit, Notizen zu machen.
Gegen Öcalan wird ein besonderes Isolationssystem angewendet, wie beurteilt er selbst dieses System?
Dass unserem Mandanten seit knapp acht Jahren nicht gestattet wird, mit seinen Anwälten zu sprechen, ist ein beispielloser Präzedenzfall für die Abwesenheit juristischer Rechte. Unser Mandant hat in seinen Verteidigungsschriften etliche Male betont, dass das Isolationssystem auf Imrali in seiner Person gegen das kurdische Volk angewendet wird. Mit seiner Person werde ein Volk zwischen vier Wänden auf einer Insel gefangen gehalten, so drückt er es aus. Innerhalb der letzten drei Jahre hat er zwei Mal im Rahmen von Angehörigenbesuchen seinen Bruder treffen können. Auch mit dem letzten Besuch seines Bruders sei die Isolation nicht aufgehoben worden, trotz der Ausnahmeregelung dauerten die schweren Isolationsbedingungen an, teilt er mit. Wir wissen, dass er auch die schwere Isolation der Gesellschaft beobachtet. Dementsprechend sagte er, dass die Gesellschaft, der Staat und alle anderen in Ketten gelegt seien.
Innerhalb der letzten drei Jahre haben zwei Angehörigenbesuche am 11. September 2016 und am 12. Januar 2019 sowie ein Anwaltsgespräch am 2. Mai 2019 stattgefunden. Alle drei Kontakte wurden in Zeiten des Hungerstreiks möglich. Das sind eklatante Beispiele für das bestehende Isolationssystem.
Wie sind die Haftbedingungen? Gibt es Gemeinschaftsbereiche, Hofgang, Kommunikation untereinander, Zugang zu Zeitungen und Fernsehen? Inwieweit besteht Zugang zu Büchern?
Wir schicken ihm regelmäßig Bücher, Zeitschriften und Zeitungen. Bei unserem Besuch haben wir erfahren, dass ihm beispielsweise die Zeitung Yeni Yaşam nicht ausgehändigt wird. Andere Zeitungen bekommt er, allerdings wissen wir nicht, wie regelmäßig. Er hat gesagt, dass er Fernsehen kann, es jedoch nur sieben bis acht Kanäle gibt. Von den vielen Briefen, die wir ihm geschickt haben, hat er nur zwei bis drei bekommen. Als er die Briefe angesprochen hat, die er uns geschrieben hat, haben wir ihm mitgeteilt, dass sie nicht an uns weitergeleitet worden sind.
Er hat gesagt, dass er zu unseren weiteren drei Mandanten auf Imrali Kontakt hat. Wir gehen davon aus, dass sie beim Sport und im Gemeinschaftsbereich zusammentreffen können. Die restlichen 23 Stunden am Tag verbringt er allein, wie wir wissen.
Ob er über eine Bibliothek in seinem Zimmer verfügt, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass er weiterhin liest. Er hat beispielsweise von dem Fürstentum Cizîr gesprochen und gesagt, dass er darüber etwas gelesen hat. Außerdem hat er gesagt, dass das Epos von Mem û Zin, das ja als Liebesgeschichte bekannt ist, eigentlich vom Schmerz der Demokratisierung handelt.
Wie bewertet er den politischen Verlauf in der Türkei?
Herr Öcalan führt zurzeit eine Diskussion, die seine in der Vergangenheit behandelten Themen beinhaltet, aber noch tiefgreifender ist. Seit der Zeit Özals, seit 24 bis 26 Jahren führt er dieselbe Diskussion und denselben Kampf. Seine Bewertungen dürfen nicht im Zusammenhang stehend mit irgendeiner politischen Partei oder begrenzt auf die politischen Entwicklungen verstanden werden. Sie gehen tiefer und sind historischer. Es geht dabei um Staat und Demokratie, um Land und Region. In seinen Bewertungen drückt er aus, dass seine Gedanken weiter fortgeschritten sind als vor sieben Jahren. Er versucht diese Diskussion so zu führen, dass daraus noch historischere und tiefergreifende Resultate hervorgehen können.
Den gesellschaftlichen Zustand begreift er als eine sich vertiefende Polarisierung und Spaltung. In den vergangenen drei bis vier Jahren haben fürchterliche Dinge stattgefunden und Herr Öcalan betont, dass auch die Politik es nicht vermocht hat, eine Lösung zu produzieren.
Die von Herrn Öcalan veröffentlichte Mitteilung muss im Zusammenhang dieser Gedankengänge verstanden werden. Sie beinhaltet sieben Abschnitte, die gesondert bewertet werden können.
Nach Ansicht von Herrn Öcalan besteht an dem jetzigen Punkt, an dem wir uns befinden, in gesellschaftlicher Hinsicht Bedarf nach einer demokratischen politischen Einigung. Es darf nicht zu einer weiteren Polarisierung kommen. Es geht um eine türkisch-kurdische Versöhnung, eine gesellschaftliche, politische und kulturelle Versöhnung.
Herr Öcalan unterstreicht beharrlich die Methode demokratischer Verhandlungen. Als Beispiele nennt er die Europäische Union und die Ansichten von Habermas zu diesem Thema. Für ihn ist es wichtig, dass die alten Fehler nicht wiederholt werden. Aus den gemachten Fehlern soll gelernt werden, damit nicht ähnliche Fehler begangen werden. Die Probleme können mit der Methode demokratischer Verhandlungen gelöst werden. Als demokratischer Verhandlungspartner bringt Herr Öcalan die Eindeutigkeit seiner Methode zum Ausdruck. Er ist der Meinung, dass alle, die sich politisch betätigen, jederzeit bereit sein und sich erneuern müssen, weil ansonsten keine Lösung hergestellt werden kann.
Seine Meinung und Vorschläge dazu, dass die Begriffe Nation und verfassungsrechtliches Staatsbürgertum in der Türkei sowie die Beziehung zwischen Staat und Bürger problematisch sind, sind unverändert.
Wie in seinem Text ausgedrückt, sind Verstand, Politik und Kultur „Soft-Power“.
Eine Lösung der Probleme auf alte Weise und ohne die Methode demokratischer Verhandlung bezeichnet er als unmöglich. Das Ziel demokratischer Verhandlungen muss ohne Zweifel ein würdevoller Frieden sein.
Herr Öcalan erachtet es als wichtig, dass die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), in denen Kurden, Araber und Suryoye vertreten sind, mindestens ebenso sehr wie die Zentralregierung in der syrischen Verfassung Garantien erhalten. Themen einer verfassungsrechtlichen Garantie könnten die Stärkung regionaler Verwaltungen, eine demokratische Autonomie, ein föderatives System und ähnliches sein, sagt er. Auf gleiche Weise misst er einhergehend mit regionalen Lösungen der Politik und diplomatischen Gesprächen Bedeutung bei. Er hat betont, dass auch die Bedenken der Türkei beachtet werden müssen.
Der Umgang dürfe nicht so wie mit Efrîn und Idlib sein, als Lösung nennt er beispielhaft die Angelegenheit um das Grabmal von Süleyman Şah und wie er bereits in seiner Newroz-Botschaft von 2015 erwähnt hat, den Geist von Ashme. Er sagt, dass sich die Probleme über die Methode einer politischen Einigung lösen lassen. Sollte es eine demokratische Verfassung in Syrien geben, könne auch eine Rückkehr der syrischen Geflüchteten aus Europa und sogar der Türkei möglich werden.
Zu den Hungerstreiks erklärt er, dass er Respekt empfindet und seine Haltung seit 1982 bekannt ist. Er sagt, dass einer der Gründe für die Veröffentlichung seiner Mitteilung der Hungerstreik ist. Damit einhergehend bedankt er sich bei allen und erklärt, dass er nicht will, dass sie ihren Körpern schaden und an die Grenze zu bleibenden Schäden und dem Tod kommen.
Öcalan spricht im Verweis auf seine Newroz-Erklärung von 2013 von der „Haltung auf Imrali“. Was ist darunter zu verstehen?
In zwei Abschnitten der veröffentlichten Erklärung betont Herr Öcalan die Imrali-Haltung und Newroz 2013. Für diejenigen, die sich für die Imrali-Haltung interessieren, gibt er die Antwort, dass es sich um ein politisches Subjekt handelt und der Zustand dieses politischen Subjekts grundlegend für die Bemühungen um eine demokratische Lösung und einen würdevollen Frieden ist. Die politische Stärke von Herrn Öcalan als grundlegendes Subjekt ist bekannt. In der Newroz-Deklaration von 2013 geht es um eine politische Lösung und einen würdevollen Frieden. So wie er etliche Mal von demokratischen Verhandlungen und einem würdevollen Frieden gesprochen hat, erinnert er ein weiteres Mal an Newroz 2013.
Wie ist die Lage der anderen politischen Gefangenen auf der Insel? Wie geht es ihnen mit der Isolation und gesundheitlich?
Unsere anderen Mandanten, die mit Herrn Öcalan zusammen auf Imrali sind, befinden sich unter denselben Isolationsbedingungen. Seitdem sie im März 2015 in das Inselgefängnis verlegt worden sind, wurde ein einziges Anwaltsgespräch genehmigt. Ihr Recht auf schriftliche oder telefonische Kommunikation können sie nicht wahrnehmen. Auch ihre Angehörigen können sie nicht auf Imrali besuchen. Ob sie Zugang zu Fernsehen haben, wissen wir nicht. Obwohl die Aufhebung des Kontaktverbots der Anwälte auch für sie gilt, ist unser Antrag auf Besuchserlaubnis bei ihnen am 2. Mai abgelehnt worden. Als wir Herrn Öcalan nach ihnen gefragt haben, hat er uns mitgeteilt, dass es ihnen gesundheitlich gut geht und sie ihre Familien grüßen lassen.