Eren Keskin: Nur Widerstand bringt Veränderung

Eren Keskin war eine der zwölf Anwält*innen, die Öcalan nach seiner Verschleppung in die Türkei vertreten haben. Im ANF-Gespräch erklärt die Juristin, warum sie vom Erfolg der Hungerstreikbewegung gegen die Isolation überzeugt ist.

Eren Keskin ist Rechtsanwältin und eine renommierte Menschenrechtsverteidigerin. Sie ist Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins İHD und hat zudem eine Organisation gegründet, die Opfern von sexueller Belästigung und Vergewaltigung in Polizeihaft oder im Gefängnis Rechtshilfe bietet. Während ihres jahrzehntelangen Einsatzes für die Menschenrechte wurde Eren Keskin mehrfach aufgrund missliebiger Äußerungen angeklagt und verurteilt, erhielt immer wieder Morddrohungen und war physischen Angriffen ausgesetzt.

Im Gespräch mit ANF hat sich die Juristin zur Isolatationshaft des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan und die dagegen von der Politikerin Leyla Güven initiierte Hungerstreikbewegung geäußert. Eren Keskin erinnert in diesem Zusammenhang zunächst an die neuerlichen Annäherungen der AKP an den tiefen Staat, die im Jahr 2015 zum Abbruch der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der PKK führten, wodurch die Politik zur Lösung der kurdischen Frage ad acta gelegt wurde. „Damit hatten wir im Grunde gerechnet. Dieser Staat besteht darauf, dass die Gewalt weitergeht, das ist ganz offensichtlich. Dies spiegelt sich auch in der Totalisolierung Abdullah Öcalans und der Gleichgültigkeit angesichts der Hungerstreiks wieder“, kommentiert Keskin.

Alle Teile Kurdistans, insbesondere Rojava, der Norden Syriens, seien in Bewegung, erklärt die Juristin weiter. „Dass die kurdische Befreiungsbewegung auf internationaler Ebene an Legitimität gewinnt, stört die Türkei zudem enorm. Daher ergibt sich aus der Summe aller Handlungen der Regierung sowohl die Fortsetzung der Isolation auf Imrali, als auch die Untätigkeit hinsichtlich der Hungerstreiks dagegen. Seit Beginn der Imrali-Phase war ich eine der Anwält*innen Öcalans. Auch damals gab es die Isolation, für das Gefängnis auf Imrali war zudem eine illegale Stelle zuständig, von der weder wir noch die damaligen Staatsanwälte wussten, wer genau dahinter steckte. Als wir in Mudanya Anträge auf Mandantenbesuche stellten, teilte uns der Staatsanwalt ganz offen mit, dass er dazu nicht befugt sei. Ich will damit sagen, dass auf Imrali von Anfang an gegen das Recht verstoßen wurde”, so Keskin.

Europäische Staaten kommen ihren Pflichten nicht nach

Die Anwältin betont, dass Öcalan kein gewöhnlicher Gefangener sei und die ihm auferlegte Isolation ein ganzes Volk betreffe. „Wir als Menschenrechtsverteidiger*innen äußern dies bereits seit vielen Jahren. Der türkische Staat verstößt auf Imrali gegen seine eigenen Gesetze. Bedauerlicherweise kommen gewisse europäische Institutionen ihren Pflichten, die Einhaltung der Gesetze in der Türkei zu überwachen, nicht nach. Der türkische Staat wird für seine Gesetzesverstöße nicht zur Rechenschaft gezogen“, unterstreicht Keskin.

Als Verfechterin der Menschenrechte hat Eren Keskin die Brutalität der 1990er in der Türkei Jahre hautnah miterlebt. Selbst als Gewalt auf der Tagesordnung stand, Tausende Menschen den Morden von parastaatlichen Kräften und sogenannten unbekannten Tätern zum Opfer fielen und Dörfer verbrannt wurden, habe der türkische Staat diese Taten nicht in einem solch hemmungslosen Ausmaß verteidigen können, wie es jetzt der Fall sei, meint Keskin. „Auch wenn wir wussten, dass es der Staat war, behauptete er früher, unschuldig zu sein. Doch mittlerweile wird ganz offen zugegeben, was getan wurde. Wir brauchen nur einen Blick auf die Social-Media-Accounts von Nachrichtendienstlern der Jandarma zu werfen, um die Gewalt zu sehen, die gefangengenommenen Guerillakämpfer*innen angetan wird. In der Türkei ist Folter mittlerweile legitim“, so die Anwältin.

Widerstand wird in dieser Region zu Veränderung führen

Eren Keskin erwähnt auch, vor einigen Tagen in Amed (Diyarbakir) die kurdische HDP-Politikerin Leyla Güven besucht zu haben. Seit dem 7. November befindet sich die 55-jährige Güven in einem unbefristeten Hungerstreik für die Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen.

„Leyla hat gesagt, dass sie auf jeden Fall leben möchte“, berichtet Eren Keskin von dem Gespräch mit Güven. „Sie erklärte, diese Aktion für das Leben durchzuführen. Ihre Botschaften erhalten auch wichtige Perspektiven für die Lösung der kurdischen Frage. Ich hoffe, dass Leyla richtig verstanden wird. Die IHD-Zentrale ist wirklich bemüht, aktiv mitzuwirken. Doch wir durchleben eine Zeit, in der es schier unmöglich ist, Behörden und Minister zu erreichen. So schlimm war es noch nicht mal in den 90ern, damals konnten wir wenigstens die Minister sprechen. Ich will damit sagen, dass die Regierung von der Zivilgesellschaft nichts hält. Deshalb bleiben Anfragen unbeantwortet und Anträge verlaufen im Sand. Dennoch glaube ich daran, dass der Hungerstreik Erfolg haben wird. Nur diejenigen, die Widerstand leisten, können die Welt verändern. Dieser Widerstand, der Hungerstreik also, wird in jedem Fall zu Veränderungen in diesem Teil der Welt führen“, sagt Keskin.

Appell an die Zivilgesellschaft

In einem abschließenden Appell an die Zivilgesellschaft der Türkei fordert Keskin, dass sich diese endlich vom Klima der Angst befreien müsse. Die Forderungen der Hungerstreikbewegung seien vollkommen legitim, schließlich gehe es darum, dass sich der Staat an seine eigene Gesetzgebung hält, so Keskin. „Die Rechte von lebenslang inhaftierten Gefangenen zu wahren und Familien- und Anwaltsbesuche zu gewährleisten – das sind rechtmäßige und legitime Forderungen“, sagt sie.