HDP-Amed: Türkei setzt wieder auf Totalisolation Öcalans

Seit vier Monaten wird Abdullah Öcalan wieder von der Öffentlichkeit abgeschottet. Der Umgang mit ihm entspricht dem Umgang mit den Kurden insgesamt, erklärt der HDP-Vorstand von Amed. „Der Schlüssel zur Lösung ist aber Öcalan.”

Seit dem 12. August gelangt kein Lebenszeichen des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan an die Öffentlichkeit. An jenem Datum wurde durch die Staatsanwaltschaft Bursa zum letzten Mal ein Familienbesuch gestattet. Der Rechtsbeistand des PKK-Gründers war zuletzt am 7. August auf der Insel im Marmarameer, um seinen Mandanten zu treffen. Jeglicher Besuchsantrag danach wurde entweder abgelehnt oder nicht beantwortet. Öcalan ist erneut verschärften Isolationsbedingungen ausgesetzt.

Im Gespräch mit ANF haben sich Zeyat Ceylan und Hülya Alökmen, die beiden Ko-Vorsitzenden des Provinzvorstands der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in der kurdischen Hochburg Amed (Diyarbakir), zum Isolationssystem auf Imrali geäußert. Beide Politiker*innen machen deutlich, dass die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und Abdullah Öcalan der Türkei den Weg zur Demokratisierung freimachten. Dem Staat fehle es jedoch am Willen zur Lösung der kurdischen Frage, daher auch die Intervention des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die zu einem abrupten Ende der Friedensgespräche führte, sagt Ceylan. Auch der Umgang mit Öcalan, der der kurdischen Freiheitsbewegung als legitimer Repräsentant gilt und zugleich der Hauptverhandlungspartner bei den Gesprächen für eine Lösung des Konflikts ist, entspreche dem Umgang mit den Kurden insgesamt. „Als Öcalans Botschaften im Zuge der Friedensverhandlungen an die Öffentlichkeit gelangten, konnten die Menschen in Kurdistan und der Türkei aufatmen. Seit 20 Jahren ist er auf Imrali inhaftiert, und spricht von nichts anderem als Frieden, einer Lösung der kurdischen Frage und der Demokratisierung der Türkei. Die Person Abdullah Öcalans ist von zentraler Bedeutung für den Lösungsprozess und die Aussicht auf eine friedliche Beilegung des Konflikts. Sein Wort hat Gewicht und beeinträchtigt die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei. Das wissen wir spätestens seit den Friedensverhandlungen. Doch trotz aller Bemühungen Öcalans verhindert die Regierung einen tragfähigen gesellschaftlichen Frieden. Der Staat möchte die Beilegung des Konflikts nicht. Gleichzeitig sollen die Völker Kurdistans und der Türkei den Preis für das durch das Verhalten der Regierung entstandene Chaos bezahlen“, erklärt Zeyat Ceylan.

Isolation bedeutet Krieg gegen die Völker

Ceylan geht noch weiter und sagt, mit der Isolation Öcalans werde der Bevölkerung durch die AKP/MHP-Koalition ein Krieg auferlegt. „Isolation bedeutet Krieg. Das ist es, was die faschistische Allianz den Menschen aufzwingt. Die Regierung kann der Bevölkerung keine Alternative bieten, außer ihre Verleumdungs- und Kriegskarte auszuspielen. Die Isolation Öcalans kommt de facto der Isolation der Gesellschaft gleich. Aus diesem Grund vertieft sich zunehmend die ökonomische und politische Krise. Ohne die Aufhebung der Isolation auf Imrali wird es in diesem Land weder Frieden geben noch Demokratie. Zwar setzt der Staat hin und wieder aufgrund des Kampfes der Bevölkerung und ihrer politischen Repräsentanten einen Schritt zurück und öffnet den Weg für Besuche bei Öcalan. Von einer Aufhebung der Haftbedingungen auf Imrali kann allerdings keine Rede sein. Die Isolation hält seit 20 Jahren systematisch an. Die Regierung hat das Thema Lösung nicht auf ihrer Agenda, daher wird die Isolation in regelmäßigen Abständen weiter verschärft. Für das Wohl unserer Gesellschaft müssen wir unsere Stimmen vereinen und aus vollem Halse unsere Forderung nach Frieden und Demokratie formulieren“, unterstreicht Ceylan.

Öcalan ist der Schlüssel zur Lösung

Hülya Alökmen betont, dass die Lösung der kurdischen Frage der Schlüssel zur Demokratisierung des Mittleren Ostens sei. „Die richtige Adresse dafür ist Öcalan“, so die Politikerin. Die Durchbrechung der Isolationsbedingungen auf Imrali war das Ergebnis von einem von November 2018 bis Juni 2019 andauernden Massenhungerstreik, an dem sich tausende Aktivistinnen und Aktivisten beteiligten. Auch die Initiative der Friedensmütter und nahezu die gesamte kurdische Bevölkerung waren in der Bewegung rund um den Hungerstreik aktiv. Bei den damit erkämpften Gesprächen mit seinen Familienangehörigen und Anwält*innen signalisierte Öcalan einmal mehr seine Bereitschaft, für Gespräche über eine politische Lösung der kurdischen Frage zur Verfügung zu stehen. Alökmen erklärt: „Öcalan gab damals wichtige Erklärungen ab und hinterließ einen großen Eindruck bei der Öffentlichkeit. Dadurch konnten Auswege aus der politischen Sackgasse gefunden werden. Doch mit den Ergebnissen der Kommunalwahl am 31. März erlebte das System einen Zusammenbruch – und fand sehr schnell wieder zurück zu Krieg und traditioneller Verleumdungspolitik. Wie bereits erwähnt, finden seit dem 7. bzw. 12. August keine Treffen mit Öcalan statt. Sobald sich die Isolation verschärft, wirkt sich dies zuallererst auf die Politik und Gesellschaft aus. Wir sprechen hier von zwei Jahrzehnten Isolierung, die heute der gesamten Sozialstruktur auferlegt wird.“

Alökmen unterstreicht, dass das größte Problem des Mittleren Ostens die ungelöste kurdische Frage sei. Es gebe einen Zusammenhang zwischen den dort stattfindenden Kriegen und Konflikten und der Situation der Kurden. „Und solange die kurdische Frage nicht geklärt ist, wird im Mittleren Osten niemand aufatmen können. Wir beobachten immer wieder, dass die Anspannung der Gesellschaft nachlässt, sobald es Gespräche auf Imrali gibt. Aber allein kann die Türkei die Isolation nicht aufrechterhalten oder verschärfen. Auch die internationalen Kräfte haben ihre Finger im Spiel. Wir können die Lage mit dem internationalen Komplott gegen Öcalan vergleichen: wie schon an der Verschleppung Öcalans mehrere Staaten beteiligt waren, sind es diese äußeren Kräfte, die bei der Isolation auf Imrali mitmischen. Das kurdische Volk war noch nie so nah dran, einen Status zu erlangen. Darum wird die Isolation auf Imrali aufrechterhalten."