Ein türkisches Gericht in der nordkurdischen Provinz Amed (Diyarbakir) hat einen bettlägerigen Schwerbehinderten wegen Terrorvorwürfen zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Der 76-jährige Betroffene Hasan Budak wird beschuldigt, im Jahr 1991 in Pîran (Dicle) ein Gemüsebeet für Guerillakämpfer angelegt zu haben. Die Anklageschrift beruht ausschließlich auf den Aussagen von zwei sogenannten anonymen Zeugen, die vom türkischen Reuegesetz Gebrauch machten.
Hasan Budak war in den 1960er Jahren Mitglied der Arbeiterpartei der Türkei (Türkiye İşçi Partisi, kurz TİP), einer sozialistischen Partei, die als erste Partei in der Türkei die Realität der kurdischen Frage anerkannte und dies in ihrem Parteiprogramm verankerte. Deswegen wurde die TİP am 20. Juli 1971 vom Verfassungsgericht verboten. 20 Jahre später erlitt Budak einen Schlaganfall und war von da an regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen. Am 15. März 2018 wurde er auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakir festgenommen und anschließend inhaftiert. Sowohl das Lehr- und Forschungskrankenhaus Gazi Yaşargil in Amed als auch das staatliche Krankenhaus in Iskenderun stellten bei Budak einen Behinderungsgrad von 96 fest. Daraufhin wurde er aus dem Gefängnis entlassen.
Das Verfahren gegen den Mann lief aber trotzdem weiter. In der Anklageschrift wirft man ihm vor, Mitglied der Arbeiter- und Bauern-Befreiungsarmee der Türkei (Türkiye İşçi Köylü Kurtuluş Ordusu, TIKKO) gewesen zu sein. 1991, also vor 28 Jahren, habe Budak, der unter dem Spitznamen „Kommunist“ bekannt gewesen sei, in seinem Heimatdorf Herîdan (türkisch: Kırpınar) Guerillakämpfer*innen mit Lebensmitteln versorgt. Konkret hätte er ein Gemüsebeet angelegt, um mit der Ernte für die Verpflegung von „Terroristen“ zu sorgen. Die Ortschaft Herîdan, die zum Landkreis Pîran gehört, war zum Zeitpunkt der angeblichen Straftat allerdings vom Staat vollständig entvölkert und als militärisches Sperrgebiet deklariert worden. Somit war ein Zutritt, geschweige denn ein regelmäßiger Aufenthalt in dem Dorf, gar nicht möglich. Außerdem war Budak infolge seiner Behinderung bereits bettlägerig und wurde an einem anderen Ort gepflegt.
Die anonymen Zeugen, die im Laufe der Verhandlung angaben, Hasan Budak auf Fotos erkannt zu haben, erklärten später außerdem, von der Polizei zu ihren Angaben genötigt worden zu sein und zogen ihre Aussagen zurück. Dennoch kam die 5. Strafkammer Diyarbakir beim Prozessende am vergangenen Mittwoch zu dem Schluss, dass Hasan Budak „Mitglied einer Terrororganisation“ sei. Das Gericht verurteilte den 76-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren, minderte das Strafmaß wegen „guter Führung“ allerdings um 15 Monate herab. Sein Anwalt Mehdi Özdemir kündigte bereits Rechtsmittel an.