Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wirft den Behörden in der autonomen Region Kurdistan-Irak (KRI) willkürliche Verhaftungen und gewaltsames Verschwindenlassen von Oppositionellen vor. Im vergangenen Jahr seien die Behörden „rücksichtslos gegen Journalisten, Aktivisten und Demonstranten vorgegangen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben”, prangert ein Bericht der Organisation an, der am Dienstag vorgestellt wurde.
„Die Behörden in der irakischen Region Kurdistan haben im vergangenen Jahr eine abschreckende Razzia gestartet, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Sie haben Aktivisten und Journalisten zusammengetrieben und unter erfundenen Anschuldigungen in unfairen Prozessen verfolgt und Familienangehörige schikaniert oder eingeschüchtert, die über den Status ihrer Angehörigen im Unklaren gelassen wurden”, sagte Lynn Maalouf, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika von Amnesty International, in Beirut.
Das harte Vorgehen, das die Menschenrechtsorganisation anprangert, begann bereits im Frühjahr vergangenen Jahres und verschärfte sich im Zuge der Proteste vom letzten Sommer gegen Korruption, Misswirtschaft und ineffiziente öffentliche Dienstleistungen. Amnesty kritisiert, dass die Verfolgungsbehörden in der kurdischen Autonomieregion vage formulierte Vorschriften und Gesetze missbrauchen, um „das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung zu beschneiden”. Amnesty International ist der Ansicht, dass der Verfolgungswahn der kurdischen Behörden eine „Atmosphäre der Angst” unter Journalisten und Aktivisten geschaffen hat, insbesondere in Dihok.
Die Menschenrechtsorganisation hat die Fälle von 14 Personen aus der Behdînan-Region im Gouvernement Dihok untersucht, die zwischen März und Oktober 2020 willkürlich vom Asayisch (Sicherheits- und Inlandsgeheimdienst der KRI) oder Parastin-Kräften (Auslandsgeheimdienst) im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an Protesten, Kritik an den lokalen Behörden oder aufgrund ihrer journalistischen Tätigkeit verhaftet wurden. „Sie sind bis zu fünf Monate lang in Isolationshaft gehalten worden, und mindestens sechs von ihnen waren für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten verschwunden. Acht von ihnen gaben an, während der Haft gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein. Am 16. Februar 2021 wurden fünf von ihnen auf der Grundlage von unter Zwang erpressten ‚Geständnissen’ zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt”, so Maalouf.
Die langjährige Haftstrafe gegen die Journalisten Sherwan Sherwani, Guhdar Zebari und Ayaz Karam sowie die Aktivisten Shivan Saeed Omar und Hariwan Issa hatte auch international hohe Wellen geschlagen. Bis zu vergangenem April wurden im Raum Dihok mehr als 100 Personen verhaftet, von denen mindestens 30 noch immer im Gefängnis sitzen. Laut Amnesty International kommen in der kurdischen Autonomieregion in der Regel drei Gesetze zur Anwendung, die zur Verhaftung und Verfolgung von unliebsamen Oppositionellen führen: Gesetz Nummer 21, das Angelegenheiten der nationalen Sicherheit regelt, das Gesetz Nr. 111 zur Abstrafung von Veleumdung und Artikel 2 zur Verhinderung des Missbrauchs von Telekommunikationseinrichtungen. All diese Gesetzestexte seien vage formuliert und enthielten zu weit gefasste Definitionen von Verbrechen, die nach internationalem Recht nicht anerkannt seien, heißt es in dem Bericht.
„Friedliche Meinungsfreiheit ist ebensowenig ein Verbrechen wie Journalismus. Viele der Inhaftierten wurden aufgrund erfundener Anklagen verurteilt und einige derjenigen, die freigelassen wurden, sind aufgrund der wachsenden Atmosphäre der Angst aus der Region geflohen”, sagt AI-Direktorin Lynn Maalouf. Amnesty International fordert die sofortige Freilassung aller willkürlich inhaftierten Aktivisten, Journalisten und Demonstranten in Südkurdistan und ein Ende der Verfolgung von Kritiker:innen Medienschaffenden. Der vollständige Bericht ist unter nachfolgendem Link abrufbar: https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1442332021ENGLISH.pdf