HRW prangert unfairen Prozess gegen Behdînan-Aktivisten an

Im Vorfeld des Berufungsurteils im Fall der zu sechs Jahren Haft verurteilten Journalisten und Aktivisten aus der südkurdischen Behdînan-Region hat Human Rights Watch das Verfahren als „zutiefst fehlerhaft“ und „unfair“ angeprangert.

Im Vorfeld des Berufungsurteils im Fall von fünf Journalisten und Aktivisten aus der südkurdischen Behdînan-Region hat Human Rights Watch (HRW) das Verfahren als „zutiefst fehlerhaft“ und „unfair“ angeprangert. Der Prozess sei von „schweren Verstößen gegen die internationalen Standards für ein faires Verfahren“ sowie von „politischer Einmischung von höchster Ebene” geprägt gewesen, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation. Die über die Berufung entscheidende Behörde sollte diese Verstöße bei ihrer Entscheidung berücksichtigen, fordert HRW.

Die Journalisten Sherwan Sherwani, Guhdar Zebari und Ayaz Karam sowie die Aktivisten Shivan Saeed Omar und Hariwan Issa waren letzten Oktober mit dutzenden weiteren Personen im Zusammenhang mit den regierungsfeindlichen Protesten gegen Misswirtschaft, Korruption und ausstehende Beamtengehälter festgenommen worden. In einigen Fällen war der Aufenthaltsort über drei Monate lang nicht bekannt. Im Februar wurden sie in einem konstruierten Verfahren von einem Strafgericht in Hewlêr (Erbil) wegen „Untergrabung der nationalen Sicherheit“ zu jeweils sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anhörung fand hinter verschlossenen Türen statt, die Angeklagten wurden nach eigenen Angaben unter Folter gezwungen, „vorgefertigte Geständnisse“ zu unterzeichnen. Während der Untersuchungshaft wurde ihnen das Recht auf Zugang zu ihrem Rechtsbeistand verweigert. Erst beim Prozess am 15. und 16. Februar konnten sie kurz vor der Verhandlung für wenige Minuten mit ihren Anwälten sprechen. Dieser Zustand hält auch jetzt weiter an. Familienkontakte gibt es ebenfalls so gut wie gar nicht.  

Kundgebung für Behdînan-Aktivisten in Silêmanî, 7. April 2021 | Foto: RojNews

Strafmaß von Premierminister diktiert

Das Strafmaß gegen Sherwani und seine Mitangeklagten war faktisch von Premierminister Mesrûr Barzanî (PDK) vorgegeben worden. Dieser hatte die Beschuldigten nur wenige Tage vor der Urteilsverkündung bei einer Pressekonferenz als „Agenten“ verleumdet und sie der Spionage bezichtigt: „Sie haben versucht, Gebäude zu sprengen und Ausländer in der Region zu entführen oder zu töten. Diese Personen haben sich nur als Aktivisten oder Journalisten getarnt, doch hinter den Kulissen taten sie andere Dinge. Es sind bewaffnete Personen mit einer zerstörerischen Mentalität, die für andere Länder arbeiten.“ HRW bezeichnet die Behauptungen Barzanîs als „unangemessene politische Einmischung in den Prozess auf höchster Ebene”. Diese würde die Unschuldsvermutung verletzen.

Lehrer wird trotz Gerichtsentscheidung nicht freigelassen

Der Lehrer Badal Barwari und der Journalist Omed Baroshki waren bereits im August verhaftet worden. Die Sicherheitsbehörden werfen ihnen vor, „nicht genehmigte Demonstrationen geplant“ zu haben. Obwohl das Strafgericht Dihok im Oktober entschieden hatte, dass keine ausreichenden Beweismittel für eine Anklage vorliegen, werden sie nicht aus dem Gefängnis entlassen. Weder für Barwari noch für Baroshki ist es die erste willkürliche Inhaftierung. Beide Männer sind bekannt für ihre Kritik an der Regierung in Hewlêr.

Neuer Tiefpunkt für Autonomieregion

„Fehlerhafte Prozesse in der Region Kurdistan sind nicht neu”, sagte Krisen- und Konfliktforscherin Belkis Wille, die seit Anfang 2016 für HRW im Irak forscht. „Aber die Missachtung der grundlegendsten rechtsstaatlichen Prinzipien, um Menschen für die angebliche Planung von Protesten zu bestrafen, ist ein neuer Tiefpunkt.” Human Rights Watch hat mit mehreren Beobachtern des Prozesses gegen die Aktivisten und Journalisten aus Behdînan gesprochen, wie aus dem Recherchebericht hervorgeht. Die konsultieren Quellen, darunter ein Anwalt der Angeklagten, bestätigten gegenüber der Organisation, dass die Sicherheitsbehörden der südkurdischen Regionalregierung die Gefangenen systematisch von ihrer Außenwelt abgeschnitten haben. Zugang zu den Ermittlungsakten gibt es für die Verteidigung bis heute nicht: Trotz richterlichen Beschlüssen weigert sich der Inlandsgeheimdienst der PDK, Akteneinsicht zu gewähren. Vom Prozesstermin hätten die Anwälte erst eine Woche vorher erfahren. „Man hatte uns gesagt, dass der Richter krank sei und wir deshalb mit einer Verschiebung rechnen sollten, aber plötzlich wurde der Prozess angekündigt und keiner von uns war darauf vorbereitet”, zitiert HRW den Rechtsanwalt.

Vergewaltigungsdrohungen gegen Sherwan Sherwani

In dem Bericht ist zudem die Rede von Gewalt durch den Asayîş bei der Festnahme von Omed Baroshki und Drohungen gegen Sherwan Sherwani, seine Ehefrau und Mutter „sexuell zu missbrauchen“, sollte er seine Unterschrift unter das vorgefertigte Geständnis nicht setzen. In den letzten Monaten war wiederholt davon berichtet worden, dass die Behdînan-Aktivisten und Journalisten aus der Region im Gefängnis körperlicher und psychischer Folter ausgesetzt sind. Laut Belkis Wille hat das Urteil vom Februar dem ohnehin schlechten Ruf der südkurdischen Autonomieregion noch weiter geschadet. „Die Region gilt als ein Ort, an dem Menschen unfairen Strafprozessen ausgesetzt sind, nur weil sie die Politik der Regierung kritisieren, die sie ablehnen, und Bedenken gegen die politische Elite äußern.“

Die inhaftierten Journalisten und Aktivisten sind seit dem 17. Februar im Hungerstreik. Damit protestieren sie gegen schlechte Haftbedingungen, Misshandlungen durch das Gefängnispersonal und Folter.