Achtzigjährige Gefangene in die Gerichtsmedizin verlegt

Die achtzigjährige Makbule Özer ist aus dem Gefängnis in das gerichtsmedizinische Institut (ATK) in Istanbul verlegt worden.

Makbule Özer ist aus dem Gefängnis in das gerichtsmedizinische Institut (ATK) in Istanbul verlegt worden. Die Achtzigjährige war zusammen mit ihrem Mann Hadi Özer am 9. Mai in Wan wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Organisation verhaftet worden und soll eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren absitzen. In der Haft hat sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtert, ihr Rechtsbeistand hat einen Antrag auf Haftverschonung gestellt. Im ATK soll jetzt eine Begutachtung stattfinden. Die Verlegung fand am Dienstag statt, die Begutachtung soll in dieser Woche abgeschlossen werden.

Makbule Özer war bereits vor ihrer Inhaftierung auf Unterstützung angewiesen und wurde wegen diversen Erkrankungen ärztlich behandelt. Anfang Juli erlitt sie einen Schwächeanfall im Gefängnis und stürzte, dabei brach sie sich einen Arm.

In der Türkei sind in diesem Jahr bereits 47 kranke Menschen im Gefängnis ums Leben gekommen. In den letzten Wochen haben Ibrahim Yıldırım, Mehmet Candemir und Bazo Yılmaz sowie ein namentlich nicht bekannter Gefangener ihr Leben verloren. Weil das gerichtsmedizinische Institut vielen kranken Gefangenen die Haftfähigkeit bescheinigt, kommt es weiterhin häufig zu Todesfällen.

Hintergrund: Warum wurden Makbule und Hadi Özer verhaftet?

23. Juli 2018: Im Kreis Ertemêtan (tr. Edremit) stürmen Antiterroreinheiten der türkischen Polizei das Haus von Makbule und Hadi Özer. Siebzehn Personen halten sich zu dem Zeitpunkt dort auf, darunter vier Minderjährige. Das ältere Ehepaar sowie drei Familienmitglieder und eine Bekannte werden rund drei Stunden von den Beamten terrorisiert, beleidigt, geschlagen und bedroht. Anschließend werden sie festgenommen und zwei Tage lang in Polizeihaft verhört. Am 26. Juli findet die Überstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft statt. Şükran Yıldız, die am Tag der Razzia zu Besuch bei den Özers war, wird wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft verhaftet. Makbule, Hadi, Medeni, Übeydullah und Emrullah Özer werden freigelassen.

Hintergrund der Razzia ist ein Vorfall, der sich eine gute Woche zuvor im 45 Kilometer nordöstlich liegenden Stadtbezirk Rêya Armûşê (Ipekyolu) zugetragen hat. In der Nacht auf den 15. Juli 2018 führten paramilitärische Spezialeinheiten der türkischen Polizei eine Operation in einem Haus in der Yalım-Erez-Straße durch. Dort hatten sich zwei YPS-Mitglieder (Zivile Verteidigungseinheiten) verbarrikadiert. Erst später wurde bekannt, dass es sich um Metin Ünalmış (Numan Serhat) und Bilal Şimşek (Serhıldan Ararat) handelte. Beide Kämpfer lieferten sich zunächst ein Gefecht mit den Operationseinheiten. Die YPS nannten zwei Tote und sechs Verletzte bei der Polizei, der türkische Gouverneur sprach lediglich von drei verwundeten Beamten. Tot seien nur die beiden Personen, „die eine illegale Aktion vorbereitet“ hätten.

Anwohnende erklärten damals zu den Geschehnissen: „Um etwa 0.00 Uhr wurde das Viertel mit Dutzenden von Fahrzeugen abgesperrt. Gegen 0.20 Uhr waren zuerst zwei Schüsse zu hören. Dann war es eine Stunde still. Darauf folgten Schüsse und zwei Explosionen. Danach rissen die Schüsse bis 5.00 Uhr morgens nicht ab. Gegen 6.00 Uhr zog die Polizei mit ihren Panzern aus dem Viertel ab.“ Menschenrechtsorganisationen hatten die Vermutung geäußert, dass Metin Ünalmış und Bilal Şimşek möglicherweise Opfer von extralegalen Hinrichtungen geworden sind, als ihre Munition ausging.

Noch in derselben Nacht war es zu mehreren Festnahmen gekommen. Damals traf es die Familie Şahin, die ganz in der Nähe des Tatortes wohnte. Mit Panzern wälzten Beamte den Gartenzaun ihres Hauses nieder und misshandelten die Familie – auch zwei 16-Jährige. Auf dem Polizeirevier wurde die Tortur fortgesetzt. Nur vier Tage später wurden sechs Familienmitglieder in Untersuchungshaft genommen. Auch hier lautete der Vorwurf auf PKK-Unterstützung, konkret ging es um die YPS-Kämpfer, denen geholfen worden sein soll. Hinzu kamen Beschuldigungen wie „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Beamtenbeleidigung“. Die Folter setzte sich im Gefängnis fort, neben Schlägen und Tritten wurden die Betroffenen entwürdigenden Nacktdurchsuchungen unterzogen. Erst Ende 2019 konnten alle verhafteten Personen aus der Familie Şahin das Gefängnis verlassen. Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen 66 beteiligte „Folterer“ bei der türkischen Polizei wurde mit dem Veto des Provinzgouverneurs unterbunden.