„Alle Todesfälle im Gefängnis sind vermeidbar“

Nach IHD-Angaben sind in der Türkei in diesem Jahr bereits 47 kranke Gefangene ums Leben gekommen, innerhalb der letzten Woche starben vier Gefangene. Die Menschenrechtlerin Nuray Çevirmen sagt, dass alle Todesfälle im Gefängnis vermeidbar sind.

Nach Erkenntnissen des Menschenrechtsvereins (IHD) befinden sich 1.517 Kranke in den Gefängnissen der Türkei, 651 davon sind schwer krank. Weil das gerichtsmedizinische Institut (ATK) vielen kranken Gefangenen die Haftfähigkeit bescheinigt, kommt es weiterhin häufig zu Todesfällen.

Nach IHD-Angaben starben in den ersten acht Monaten dieses Jahres 47 Gefangene, weil die Kranken nicht entlassen werden. In der letzten Woche haben Ibrahim Yıldırım, Mehmet Candemir und Bazo Yılmaz sowie ein namentlich nicht bekannter Gefangener im Gefängnis ihr Leben verloren. In vielen Vollzugsanstalten wird das Recht der Gefangenen auf ärztliche Behandlung beschnitten. Zuletzt berichteten Gefangene aus Maraş-Türkoğlu in einem Telefongespräch mit ihren Angehörigen, dass sie geschlagen und in Einzelzellen gesteckt wurden, weil sie sich weigerten, in Handschellen untersucht zu werden.

Nuray Çevirmen, Mitglied des IHD-Vorstands, bewertete diese Todesfälle und die Situation der kranken Gefangenen gegenüber ANF. Sie betonte die dringende Notwendigkeit der Entlassung von Schwerkranken und führte dazu aus: „Als Menschenrechtsverein sind wir hauptsächlich in Gefängnissen tätig. Im Rahmen der Rechtsverletzungen in den Gefängnissen haben wir im April einen Bericht veröffentlicht, demzufolge die Zahl der kranken Gefangenen mit 1.517 angegeben wurde, von denen 651 schwer krank waren. Wir haben Forderungen wie die Freilassung schwerkranker Gefangener und die ununterbrochene Behandlung kranker Gefangener. Im Rahmen dieser Forderungen verlangen wir auch die Abschaffung einiger spezieller Praktiken, wie die Fahrt ins Krankenhaus in Gefangenentransportern und die ärztliche Untersuchung in Handschellen. Wir fordern die rasche Verlegung von Gefangenen, keine Verzögerung von Untersuchungen und die Gewährleistung menschenwürdiger Lebensbedingungen."

47 Gefangene seit Jahresbeginn verstorben

Nuray Çevirmen betonte, dass das gerichtsmedizinische Institut politisch motivierte Entscheidungen hinsichtlich der Haftfähigkeit von Gefangenen trifft. „Soweit wir feststellen konnten, sind seit Anfang 2022 47 Häftlinge gestorben. Ich sage ,festgestellt', weil es viele Todesfälle gibt, die uns nicht bekannt sind. Nach Angaben der Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten gibt es derzeit 314.502 Häftlinge. Es ist nicht möglich, alle zu erreichen. In der letzten Woche starben zwei Gefangene an einem plötzlichen Herzinfarkt und zwei weitere an schweren Krankheiten. Es gibt schwerkranke Gefangene, die nicht haftfähig sind. Einer nach dem anderen stirbt. Es gibt viele Gefangene mit fortgeschrittenem Alter, chronischen Erkrankungen, Krebs oder Lungenkrankheiten, die nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben selbständig fortzusetzen. Es gibt Gefangene mit Behinderungen, die sich nicht selbst versorgen können. Es ist wirklich eine Schande für die Menschheit, dass diese schwerkranken Gefangenen nicht freigelassen werden. Die Tatsache, dass das gerichtsmedizinische Institut politisch motivierte Entscheidungen trifft, führt dazu, dass diese Gefangenen im Gefängnis bleiben. Und viele von ihnen sterben im Gefängnis oder werden kurz vor ihrem Tod entlassen.“

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Für Nuray Çevirmen steht fest, dass alle Todesfälle in Gefängnissen vermeidbar seien und es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, dies nicht zu tun: „Alle Todesfälle in Gefängnissen sind vermeidbare Todesfälle. Die Nichtverhinderung und Verursachung dieser vermeidbaren Todesfälle stellt einen Verstoß gegen das Recht auf Leben und das Verbot von Folter und Misshandlung dar. Kurz gesagt, wir können dies als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen. Deshalb fordern wir, dass diese Rechtsverletzungen so schnell wie möglich beendet werden, dass schwerkranke Gefangene freigelassen werden und der Strafvollzug bis zu ihrer Genesung ausgesetzt wird.“