Menschenwürdige Haftbedingungen, Gewalt und Folter an Gefangenen waren stets ein Charakteristikum des türkischen Staates. Unter der AKP nimmt das Ausmaß jedoch eine gänzlich neue Dimension an. Insbesondere seit Beginn des Krieges gegen die kurdische Bevölkerung im Jahr 2015 gehört Folter in Gefängnissen auf die Tagesordnung. Beunruhigende Berichte über Folter und Misshandlungen erhielten zuletzt die Zweigstellen der Anwaltsvereinigung ÖHD und des Menschenrechtsvereins IHD in Riha. Im dortigen T-Typ-Gefängnis Nummer 2 ist vorliegenden Informationen zufolge ein unter anderem auch mit politischen Gefangenen belegter Zellentrakt von einer etwa achtzigköpfigen Wachmannschaft in Kampfmontur überfallen worden. Offiziell zur Verlegung in andere Zellen wurden fast genauso viele Insassen auf Anweisung der Gefängnisleitung verprügelt, gefesselt und über den Boden geschleift. Die Gefangenen wurden demnach gewaltsam in einen fensterlosen und bunkerähnlichen Raum gebracht, ohne Zugang zu Trinkwasser. Schlafdecken hätten sie nicht erhalten, zudem soll Schmutzwasser in den Raum fließen. Eine Verlegung auf die Krankenstation zur Versorgung von Knochenbrüchen, Prellungen und Hämatomen als Folge der erfahrenen Gewalt würde ihnen verwehrt werden.
Der Vorfall ereignete sich nach Angaben des ÖHD und IHD am vergangenen Donnerstag. Die Organisationen wurden von besorgten Angehörigen der Gefangenen in Kenntnis gesetzt. Eine gemischte Delegation suchte daraufhin das Gefängnis auf und konnte mit 23 Insassen sprechen. Zum Gewalteinsatz sei es nach übereinstimmenden Berichten gekommen, weil die Gefangenen die Anordnung der Verlegung verlangt hätten. Die Situation sei wenige Minuten später eskaliert, als drei Verantwortliche aus der Gefängnisleitung hinzukamen und den Angriffsbefehl gaben. Dem Anstaltsarzt soll zudem verboten worden sein, die Verletzungen der Gefangenen zu dokumentieren.
Zwölf der Gefangenen seien inzwischen in den Zellenblock C-3 verlegt worden, von mehr als sechzig Insassen liege keine Informationen über den Aufenthaltsort innerhalb der Haftanstalt vor, erklärten Verantwortliche von ÖHD und IHD. Die Gefangenen haben aus Protest gegen die Geschehnisse in der Haftanstalt mit einem Boykott des Essens aus der Gefängnisküche begonnen. Sie verlangen die Verlegung der vermissten Insassen in reguläre Zellen und das Ende von Misshandlungen und Folter in dem Gefängnis. Sollten sich die Zustände nicht ändern, solle im nächsten Schritt ein Hungerstreik aufgenommen werden. Einen ersten Untersuchungsbericht wollen die Jurist:innen in Riha in den nächsten Tagen vorlegen.
Überfälle in Gefängnissen in Izmir-Şakran
Auch im Gefängniskomplex Şakran im westtürkischen Izmir gingen die Vollzugsbehörden gewaltsam gegen Gefangene vor. Ebenfalls am Donnerstag wurden dort nach Angaben von Angehörigen die Zellen von politischen Gefangenen gestürmt, „um Kriminelle unterzubringen“. Betroffenen waren demnach Insassinnen in der Frauenhaftanstalt und im T-Typ-Gefängnis inhaftierte männliche Gefangene. Die Frauen sollen sich besonders heftig zur Wehr gesetzt haben gegen die Verlegung von kriminellen Sträflingen in ihre Zellen und gewaltsame Durchsuchungen durch das Gefängnispersonal. Daraufhin seien mehrere von ihnen in einen als Depot genutzten Raum ohne Licht gebracht worden. Bei der Stürmung wurden auch persönliche Gegenstände und Dokumente der Gefangenen beschlagnahmt. Außerdem sollen Radios gezielt zerstört worden sein. Die Familien der Gefangenen sind besorgt um die Sicherheit ihrer Angehörigen und appellieren an die Öffentlichkeit, besonders sensibel auf den Umgang des Staates mit den Gefangenen zu reagieren.